Das Rätsel der Rückkehr - Roman
nassen Straße.
Dein Vater war mein Lieblingsbruder.
Ein sehr reservierter Mann.
Er hatte zu jedem von uns
eine besondere Beziehung.
Auch wenn er nie mit uns zusammenwohnen wollte,
war er in unserem Leben immer präsent.
Auf seine Art, schließt er mit einem Augenzwinkern.
Wir wählen eine kleine Bank am Fenster in dem nach Bratdunst riechenden Restaurant in Manhattan, wo mein Vater frühstückte. Der junge Kellner eilt herbei. Gibt es noch Frühstück?, fragt mein Onkel Zachée. Hier gibt es Frühstück rund um die Uhr. Und das wird immer so sein, solange in New York jemand Eier mit Speck und Fritten bestellt. Onkel Zachée winkt mich herbei. Er möchte mich der Frau des Wirts vorstellen, die meinen Vater gut kannte. Sie hat sehr weiße Arme, einen kleinen Schnurrbart, und dieses Leuchten in den Augen. Ihr Vater kam jeden Mittag hierher. Nachdem ich von seiner Geschichte erfuhr, habe ich ihn nicht mehr bezahlen lassen. Ich konnte nicht alle Exilanten einladen, es gibt zu viele in New York. Aber er hatte einen sehr ähnlichen Lebensweg wie mein Mann. Alle beide waren sie Journalisten und Botschafter, bevor sie abgesetzt wurden. Mein Mann war Botschafter in Ägypten und Dänemark. Zu Anfang redeten sie die ganze Zeit nur über Außenpolitik. Das war die Leidenschaft meines Mannes. Aus diesem Grund habe ich auch dieses Restaurant gekauft, er sollte hier Freunde treffen und mit ihnen über Politik reden können. Ihr Vater kam immer zur Kasse, bevor er ging: Er verließ sich nicht auf meine Großzügigkeit. Ich wollte nichts nehmen, aber er versuchte es weiter. Also schob ich ihm sein Geld wieder hin und tat so, als gäbe ich Wechselgeld heraus. Er steckte alles in seine Tasche, kein Typ, der nachzählt. Hat er es je gemerkt? Sie lachte leise. Ich tat es nicht aus Mitleid. Es war vor allem wegen meines Mannes. Ich wusste, wir würden Windsor nicht wiedersehen, wenn er dachte, er könne es sich nicht leisten. Daher richtete ich es so ein, dass er sein Essen immer zahlen konnte. Und Ihr Mann? Er sitzt da drüben am Fenster. Mal geht es besser, mal schlechter. Schon seit einer Woche wartet er auf Ihren Vater. Ich wage nicht, ihm zu sagen, dass er tot ist.
Ich war vier oder fünf,
als mein Vater Haiti verließ.
Er war mehr im Maquis als zu Hause.
Es gab also einen Mann am Anfang meines Lebens
und ich weiß nicht mal, wie er sich die Krawatte band.
In der erstickenden Einsamkeit des Exils
hatte er eines Tages die zündende Idee,
diesen Koffer der Bank zu übergeben.
Ich sehe ihn durch die Straßen wandeln
nachdem er sein kostbarstes Gut
an einem sicheren Ort weiß.
Dieser Koffer erwartete mich.
Er vertraute auf den Reflex seines Sohns.
Aber er wusste nicht
(sei still, ein Toter lernt nichts mehr),
dass das Schicksal nicht vom Vater auf den Sohn übergeht.
Dieser Koffer gehört nur ihm.
Das Gewicht seines Lebens.
Der letzte Morgen
Ich weiß wirklich nicht warum
ich heute morgen so große Lust bekam, meinen Freund
Rodney Saint-Eloi in der Rue Bourgeoys 554 zu besuchen.
Man beachte die Ironie der Adresse
für einen kleinen linken Verlag
im Arbeiterviertel an der Pointe-Saint-Charles.
Wurde oben an der steilen Treppe
von Saint-Elois breitem Lächeln begrüßt
und einem leise auf dem Herd schmorenden Lachs
auf einer Lage feingeschnittener Zwiebeln
Tomaten, Zitrone und rotem Paprika.
Auf Plakaten an der Wand leuchten die Gedichte
von Jacques Roumain, dem jungen Mann,
der so traurig sang von Madrid im Kugelhagel,
mit einer femininen Eleganz,
die uns an Lorca gemahnt.
Da sitzen wir also
Saint-Eloi und ich.
Einander gegenüber.
Alle beide aus Haiti gekommen.
Er vor knapp fünf Jahren
ich vor fast fünfunddreißig.
Dazwischen dreißig endlose Winter.
Der schwere Weg, der noch vor ihm liegt.
Er kommt in dem Moment,
in dem ich gehe.
Er beginnt,
was ich beende.
Bereits die Wachablösung.
Wie schnell die Zeit verging.
Eines Tages sitzt
ein anderer vor ihm,
der ihm gleicht
wie ein jüngerer Bruder.
Und er fühlt sich genauso
wie ich mich heute fühle.
Auf dem roten Sofa schläft tief und fest die junge Praktikantin. Nach einer sehr bewegten Nacht. Ein paar leere Weinflaschen, Schminksachen, ein schwarzgelber BH. Auf dem Tisch noch Reste vom Essen. Die Gewürze in winzigen Fläschchen. Handtücher auf dem Boden im Bad. Schmutziges Geschirr verstopft das Spülbecken. Ich trete auf den kleinen Balkon, der über einen Hof ohne Garten blickt. Das Leben eines Intellektuellen in einem
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