Das Rätsel der Templer - Roman
Hände gefaltet hielten, während sie stumme Worte vor sich her murmelten. Dann aßen sie wie immer
schweigend.
Nach dem Essen flüsterte Gero seinem Knappen etwas ins Ohr.
Hannah blickte neugierig auf. Matthäus grinste sie an und bekam rote Ohren. Dann stand er auf, und Gero folgte ihm.
Hannah schloss aus der Geheimniskrämerei, dass der Junge Gero die Toilette zeigen sollte. Mit einem unguten Gefühl musste
sie einsehen, dass sie ihnen nicht überall hin folgen konnte.
Gero stand vor den Latrinen und schaute ein wenig ratlos nach rechts. Der Kerl neben ihm, der im Gegensatz zu den anderen
Männern die hier übliche Alltagskleidung trug, pinkelte ungeniert in eines von dreien an der Wand befestigten Becken. Ein
wenig unsicher öffnete Gero die Schnüre seiner Hose und zielte mit seinem besten Stück in den Ausguss, ganz so wie es sein
Nebenmann gemacht hatte. Einen Moment lang beobachtete der Mann, wie Gero sich die Hose zuschnürte. Erst als er seinen irritierten
Blick auffing, wandte er sich ab und grinste. Gero folgte dem Mann in einen kleinen Vorraum, wo dieser sich leise pfeifend
die Hände wusch. Gero tat es ihm nach, während der Fremde, der ihm irgendwie bekannt vorkam, immer noch pfeifend nach draußen
ging.
Als Gero auf den kleinen Flur hinaus trat, der zum Saal führte, um auf Matthäus zu warten, sprach ihn der Kerl mit dem blonden
Zopf an, der sich kurz zuvor an Anselm gewandt hatte.
|397| »He, du«, rief er Gero respektlos zu und packte ihn unvermittelt am Arm. Mehr verdutzt als verärgert schaute Gero auf den
Mann hinab. »Anselm wartet auf dich. Du hast dich zum Schwertkampf angemeldet?«
Obwohl der Mann kein Mittelhochdeutsch sprach, verstand ihn Gero recht gut. Hatte er wirklich von einem Schwertkampf gesprochen?
»Nêina«, sagte Gero nur, als der Mann ihn aufforderte, ihm zu folgen.
Doch der andere zog ihn ungeduldig mit sich. »Es ist Sitte, dass einer seiner Gäste gegen Anselm im Schaukampf antritt, und
er meint, du seiest genau der Richtige.«
Während der Blondzopf ihn in Richtung Hof dirigierte, sah Gero sich suchend nach Matthäus und Hannah um. Er hatte keine Ahnung,
was Anselm mit ihm vorhatte. Jedoch hätte er es als unhöflich empfunden, einfach das Weite zu suchen.
Geblendet kniff Gero die Lider zusammen, als er in den Hof hinaustrat. Vom Scheunendach herab überflutete ein gleißend helles
Licht ein mit bunten Bändern abgestecktes Feld.
Jemand umfasste sein Handgelenk und zog ihn in eine große Abstellkammer.
Es war Anselm, der lächelnd und mit stolz geschwellter Brust auf ein Sammelsurium von militärisch anmutender Ausrüstung deutete.
In langen Regalen lagen Schilde, Schwerter, Kettenhemden in allen Größen. Auf Kleiderbügeln hingen Wappenröcke in fantasievollen
Farben. Gero fühlte sich an die Waffenkammer von Bar-sur-Aube erinnert, allerdings waren dort nur Dinge in den Farben Schwarz,
Weiß und Rot vertreten gewesen.
»Bediene dich ruhig«, forderte Anselm ihn auf.
Da Gero zögerte, griff Anselm in eines der vielen Regale und warf ihm ein Kettenhemd zu, von dem er wohl annahm, dass es ihm
passte. Danach überreichte er dem Templer einen bunt gemusterten Umhang. Schließlich drückte er ihm noch ein Schwert in die
Hand und einen Topfhelm.
Einen Moment lang erinnerte sich Gero daran, dass ihm jegliches Turnierspiel verboten war. Doch in dieser Welt galten ohnehin
andere Regeln.
|398| Hannah wartete ungefähr eine Viertelstunde, doch weder Gero noch der Junge kehrten zurück. Der Saal begann sich unterdessen
zu leeren. Einige Gäste zogen sich Jacken an und gingen in Richtung Ausgang. Suchend schaute sie sich um. Ein Fanfarenstoß
klang von draußen herein, Beifall brandete auf. Hannah erhob sich unsicher.
Plötzlich eilte Carolin auf sie zu. »Das musst du dir ansehen«, rief sie mit weit aufgerissenen Augen. »Dein Freund liefert
sich mit Judiths Bruder einen Schwertkampf – in voller Rüstung. Die beiden sehen aus wie echte Ritter!«
»Was?« Hannah traute ihren Ohren nicht.
Judith erschien in der Tür und ruderte heftig mit den Armen. »Ich wusste gar nicht, dass dein neuer Freund auch aus Anselms
Branche kommt«, erklärte sie aufgeregt.
»Ich auch nicht«, antwortete Hannah tonlos. »Wo ist er?« Sie kochte vor Wut.
»Komm mit«, rief Judith und zog Hannah mit nach draußen.
Lange Bänder, die man an bunten, tragbaren Pfählen befestigt hatte, umspannten eine quadratische Fläche von der
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