Das Rätsel der Templer - Roman
riss Hannah aus ihren Gedanken. Matthäus’ Pferd warf den Kopf hoch und machte einen Satz nach vorn. Wie
aus dem Nichts sprang ein schwarzer Schatten aus dem Gebüsch und riss ihr die Zügel aus der Hand.
Ehe sie sich versah, saß der übel riechende Fremde auch schon hinter ihr und gab ihrem Gaul die Sporen. Vor Verblüffung hatte
sie noch nicht einmal schreien können. Erst als der Mann ihre Taille umfasste und das Pferd wendete, stieß sie einen kläglichen
Hilferuf aus. In rasantem Tempo ging es durch einen Hohlweg den Berg hinunter.
»Hannah!« Gero brüllte ihren Namen wie eine Drohung. Aber was sollte sie tun? Ihr Entführer umklammerte sie mit eiserner Entschlossenheit.
Sollte sie trotzdem den Versuch wagen, sich mit ihm zusammen vom Pferd fallen zu lassen? Aber was würde passieren, wenn sie
sich ein Bein brach oder einen Arm?
Der Mann lenkte das Tier über einen Bach hinweg in einen dichten Wald. Erst da bemerkte sie, dass sie nicht allein mit ihm
durch die hereinbrechende Dunkelheit ritt. Ein zweiter Kerl hatte sich des Pferdes von Matthäus bemächtigt. Allerdings war
von dem Jungen nichts zu sehen, wie sie mit einiger Erleichterung feststellte.
Wirre Gedanken schossen Hannah durch den Kopf. Was war das hier? Ein Überfall? Oder eine Geiselnahme?
»Vermaledeite Scheiße!«, fluchte Gero und gab seinem Wallach die Sporen. Nun bereute er, dass er das Angebot in der Komturei
nicht angenommen hatte, ihm eins der dortigen Streitrösser zur Verfügung zu stellen.
Anselm half Matthäus, damit er hinter ihm in den Sattel steigen konnte. Der Junge war beim Angriff der beiden Fremden von
seinem Pferd gefallen. Zitternd klammerte er sich an Anselms Mantel, während sie mühsam versuchten, Gero und den beiden Angreifern
in die Dämmerung zu folgen.
Gero trieb seinen Braunen zur Höchstleistung an. Währenddessen orientierte er sich lediglich nach seinem Gehör. Das Stampfen
der Hufe, das Rascheln der Blätter und die vorbeipeitschenden Äste hielten ihn auf dem Weg. Als sie eine Lichtung überquerten,
konnte er die Flüchtenden zum ersten Mal sehen. Mit einer Hand fasste er an seinen |525| Messergürtel und zog den mittleren Dolch. Gleichzeitig spornte er sein Pferd weiter an. Im Nu hatte sich Gero bis auf Wurfweite
seinen Widersachern genähert. Im Halbdunkel durfte er sein Ziel keinesfalls verfehlen. Ohne zu zögern, schleuderte er seinen
Jagddolch auf den nächsten Entführer – und traf in den Rücken des Mannes.
Plötzlich stöhnte Hannahs Entführer auf und lockerte seinen Griff. Sie war so überrascht, dass sie beinahe vom Pferd gestürzt
wäre. Mit letzter Kraft krallte sie sich in die Mähne des Tieres. Dann erschien Gero auf ihrer Höhe. Während er sein Pferd
nur mit den Schenkeln dirigierte, hielt er in der Linken sein gezogenes Schwert und bedrohte damit ihren Peiniger. Doch der
Mann dachte nicht daran, sich kampflos zu ergeben. In seiner rechten Hand blitzte auf einmal die Klinge eines breiten Messers
auf, das er auf Hannah gerichtet hielt. Das weitere Geschehen erschien ihr wie schnell aufeinander folgende Schnappschüsse.
Nicht ihr aufgeschlitztes Gedärm zeigte sich, sondern ein blutiger Armstumpf, die Hand sauber abgetrennt oberhalb des Gelenkes.
Auch das Messer war verschwunden, und im nächsten Moment spürte sie, wie der Mann hinter ihr aus dem Sattel kippte und wie
er drohte, sie mit sich zu reißen. Instinktiv beugte sich Hannah nach vorn und umklammerte mit beiden Armen den Hals des Pferdes,
froh darüber, dass es kein Rittersattel mit einem aufragenden Vorderzwiesel war, auf dem sie saß. Während das Tier orientierungslos
und nur noch mit ihr alleine auf seinem Rücken dahin trabte, hörte sie auf zu denken. Ihre Beine schlotterten um den warmen
Pferdebauch, während sie ihre Arme so verkrampft um den Hals des Tieres geschlossen hielt, dass sie das Gefühl überkam, sich
nicht mehr ohne Hilfe lösen zu können.
Anselm durchbrach das Dickicht und stoppte sein Pferd unweit der Stelle, an der Gero breitbeinig über einem reglosen Mann
stand. Matthäus sprang ab und lief zu Gero. Anselm folgte ihm, nachdem er die Zügel des Wallachs an einen Strauch gebunden
hatte. Hastig zückte er die Taschenlampe, die er immer noch bei sich trug, und beleuchtete den am Boden liegenden Mann. Er
lag auf der Seite und stöhnte leise. Soweit Anselm sehen konnte, fehlte dem Verletzten die rechte Hand, und ein Messer steckte
in seinem
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