Das Rätsel der Templer - Roman
aufgelöst.
Alle Vermächtnisse gehen an die Hospitaliter oder auf die Deutschen über. Man wird unseren Brüdern in den meisten Fällen Gelegenheit
geben, den Orden zu wechseln. Jedoch niemand von |522| uns sollte ohne Grund nach Franzien zurückkehren. Dort bleibt es brandgefährlich.«
»Woher wisst Ihr das alles?« Theobald sah Gero mit einem durchdringenden Blick an.
»Sagen wir, ich weiß es einfach«, antwortete Gero und blickte bescheiden auf die farbenprächtigen Buchstabenentwürfe, die
vor ihm ausgebreitet auf dem Tisch lagen.
»Was ist«, fragte Theobald verunsichert, »wenn Philipp sich gegen König Albrecht durchsetzt und seine Grenzen nach Osten ausdehnen
kann? Sind wir dann nicht in erneuter Gefahr?«
»Das wird nicht geschehen«, sagte Gero und überlegte kurz, ob er nicht doch zu weit ging mit seinen Prophezeiungen. »König
Albrecht wird den nächsten Sommer nicht überleben, und sein Nachfolger wird entgegen der Vorstellung von König Philipp nicht
Karl von Valois, sondern der Graf von Luxemburg, der Bruder Balduins von Trier.«
»Balduin von Trier?« Theobald runzelte ungläubig die Stirn.
»Noch vor Ende des Jahres wird ein neuer Erzbischof in Trier residieren, der seine Ernennung Papst Clemens V. und Philipp
IV. von Franzien zu verdanken hat.«
»Heilige Jungfrau«, flüsterte Theobald aufgeregt. »Seid Ihr etwa unter die Mystiker gegangen?«
»Sagen wir, ich hatte eine Vision«, sagte Gero und erhob sich rasch. »Mehr könnt Ihr von mir nicht erfahren.«
»Es ist also kein Märchen«, bemerkte Theobald leise und sah zu dem bunten Glasfenster hin, das den Heiligen Johannes umringt
von den sieben Reitern der Apokalypse zeigte. »Der Hohe Rat … das Kollegium und Ihr seid einer der Eingeweihten, wer hätte
das gedacht?« Er lächelte verklärt. »… wie auch immer …«, murmelte er, und seine Augen starrten für einen Moment ins Leere.
»Ich danke Euch«, sagte er fest und umarmte Gero unvermittelt und so heftig, dass der kaum noch zu atmen vermochte.
Gero wich Theobalds suchendem Blick geflissentlich aus, nachdem dieser ihn wieder losgelassen hatte. »Wisst ihr, Bruder« flüsterte
er, »die Mystiker haben Recht. Es gibt eine Welt hinter der Wirklichkeit. Nichts ist so wie es scheint, und unser Schicksal
ist von einer göttlichen Vorsehung bestimmt, bei der es kein Entrinnen gibt.«
|523| »Ich weiß jetzt, wohin sie meinen Komtur verschleppt haben«, sagte Gero leise zu Anselm und Hannah, während sie über den Hof
in Richtung der Stallungen gingen. Matthäus war vorausgelaufen, um Wasser aus dem Brunnen zu schöpfen. Gero wollte in Gegenwart
des Jungen nicht von d’Ours grausamem Schicksal sprechen.
»Und wo ist dein Komtur?« Anselm wiegte seinen Kopf zur Seite.
»Chinon«, sagte Gero nur.
»Ist das nicht diese Festung, wo sie den Großmeister eingekerkert haben?« Hannah sah beide Männer abwechselnd an.
»Ja«, antwortete Anselm und zog eine Braue hoch. »Genauso gut hätte er … Alcatraz sagen können.«
»Wo wollt Ihr denn hin?«, fragte der Torwächter, als er den Schlagbaum öffnete.
»Nach Hause«, sagte Gero schlicht.
»Heute noch?«, fragte der Alte und blinzelte in die tief stehende Nachmittagsonne.
»Wir übernachten in Mayen«, erklärte Gero und befriedigte damit die Neugier des kauzigen Templers. »Der Burgamtmann dort ist
ein Cousin meiner Mutter«, fügte er hinzu und zügelte sein Pferd, um es auf die Straße Richtung Süden zu lenken.
Noch bevor der Weg zur Burg Rheineck anstieg, bogen sie nach rechts in ein enges Tal ab. Über Felder und Wiesen, vorbei an
zahlreichen Höfen und Burgen ritten sie der untergehenden Sonne entgegen.
Das Kloster Maria Laach hatten sie längst hinter sich gelassen, als es zu dämmern begann und in der Ferne der Wehrturm der
erst 1280 erbauten Genovevaburg in Sicht kam.
Hannah konnte sich kaum noch im Sattel halten. Der Abendwind fuhr mit seiner kühlen nebligen Luft in ihre mittelalterliche
Kleidung und ließ sie frösteln
Matthias ritt dicht neben ihr. Im Halbdunkel sah sie sein aufmunterndes Lächeln. Tausend Gedanken wanderten ihr durch den
Kopf. Eigentlich war es doch sehr beschaulich in dieser Zeit und in dieser Gegend. Die Menschen erschienen ihr zivilisierter
zu sein, als sie es sich vorgestellt hatte. Sogar das Essen schmeckte vorzüglich, wenn auch die Suppe in der Komturei für
ihren Geschmack etwas weniger Salz hätte vertragen können.
|524| Ein lautes Wiehern
Weitere Kostenlose Bücher