Das Rätsel der Templer - Roman
Hannah zum Speisesaal. Auf einer mit Kreide beschrifteten, schwarzen Schieferplatte am Eingang des Speiseraumes
wurde die Ausgabe von zwei verschiedenen Mahlzeiten angekündigt, die man sich bei einer zentralen Essensausgabe am hinteren
Ende des Raumes abholen konnte. Schweigsam reihten sich die hungrigen Mönchsritter in eine lange Schlange vor einem gemauerten
Tresen ein, wobei ein jeder der Wartenden mit einer Holzschüssel und einem Holzlöffel bewaffnet war. Mehrere braun gewandete
Männer verteilten Gemüseeintopf mit Fleischeinlage und eine Art Getreidepudding mit honiggesüßtem Apfelmus aus großen, eisernen
Töpfen. Auf den Tischen standen Steingutschüsseln mit frischem Obst, vorwiegend Äpfel und Weintrauben.
Schon zur Mittagszeit flossen Ströme von rotem und weißem Wein. Doch bevor die annähernd dreißig Anwesenden zu essen und zu
trinken begannen, erhoben sie sich zu einem mindestens zehnminütigen Gebet. Mittlerweile war auch Matthäus zu ihnen gestoßen
und stand mit andächtig gefalteten Händen vor seiner Suppe.
Überaus erfreut durfte Hannah feststellen, dass sie die lateinische Version des Vaterunsers tatsächlich noch beherrschte.
Das zweite Gebet, das immer wieder im Wechsel aufgesagt wurde, war ihr jedoch unbekannt. Nach einer halben Ewigkeit ließen
sich die verschiedenfarbig gewandeten Brüder nieder und widmeten sich ebenso schweigsam ihrer Mahlzeit, wobei man nicht sagen
konnte, dass es keine Verständigung gab. Jedoch kommunizierten sie ausschließlich mit Fingerzeichen, um nach Brot oder Salz
oder einem Krug Wein zu fragen. Durch die Stille traten das Geklapper von Löffeln und Bechern und ein gelegentliches Schlürfen
deutlich hervor.
Hannah, die zusammen mit Anselm an einem separaten Tisch Platz genommen hatte, beobachtete fasziniert, wie sich das Licht
der Nachmittagsonne in den gelben Butzenscheiben brach und leuchtende Muster auf die weißen Gewänder zeichnete.
Ein großer, asketisch wirkender Tempelritter mit einem lockigen braunen Bart schenkte ihr ein flüchtiges Lächeln, als er nach
dem Hauptessen bemerkte, wie sie ihm abwesend auf die Hände schaute. Mit einem riesigen Messer, das er zuvor von seinem Gürtel
entnommen hatte, teilte er sorgsam einige Äpfel. Die schlanke Hand, die den |519| Schaft des Dolches hielt, war gepflegt, jedoch übersät mit kleinen und größeren Narben. Stückweise übergab er die Äpfel an
Kameraden. Es folgte ein weiterer Seitenblick des Mannes, und wie ertappt schaute Hannah vor sich auf die Tischplatte. Woher
sollte der Ordensritter auch wissen, dass sie sich beim Anblick des Messers an einen seiner Brüder erinnerte, der sich halbnackt
in ihrem Bad stehend den Bart ausrasierte oder an einen toten Professor, in dessen Stirn exakt die gleiche Klinge gesteckt
hatte?
Unvermittelt hielt der Mann ihr die Hälfte eines Apfels hin, die er auf der Spitze des höllisch scharfen Mordinstrumentes
aufgespießt hatte. Eine freundliche Geste, dabei hatte er die Frucht sogar sauber vom Kerngehäuse befreit. Da Gero nicht in
ihrer Nähe war, wagte Hannah es nicht, das Angebot abzulehnen. Sie bedankte sich mit einem Nicken, während sie das Stück Apfel
hastig an sich nahm.
Trotz ihrer weißen Kutten sahen die Kerle aus der Nähe betrachtet allesamt recht verwegen und unberechenbar aus.
Hannah spürte, dass ihr Gönner sich über ihr Verhalten amüsierte, und die anderen Templer an seinem Tisch schienen nicht weniger
erheitert zu sein. Als sie unvorsichtigerweise aufblickte, machte ein freundliches Grinsen die Runde. Sie zog es vor, langsam
vor sich hin zu kauen, damit der Mann mit dem Lockenbart nicht auf die Idee kam, sie noch weiter zu füttern.
Anselm tat so, als ob er nichts bemerkt hätte, und lauschte dem braun gewandeten Bruder, der von einem Pult aus in der Mitte
des Saales alle Anwesenden unterhielt, indem er in bestem Latein aus der Bibel vorlas.
Gero hatte zunächst das Gespräch mit Heinrich von Blauenstein, dem örtlichen Komtur, gesucht. Danach hatte er eine neue Chlamys,
ein Kettenhemd und einen Wappenrock in Empfang genommen, weil er wegen seiner Flucht aus Franzien mühelos den Nachweis führen
konnte, dass ihm seine eigene Ordenstracht unverschuldet abhanden gekommen war. Der Komtur von Brysich vertrat den Standpunkt,
dass es die Templer in den deutschen Landen nicht nötig hatten, sich zu verstecken, indem sie auf ihren typischen Habit verzichteten,
und das nur, weil der
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