Das Rätsel
Ich wollte nicht wie ein kleines Kind wegen eines Geists um Hilfe rufen. Ich war so fest davon überzeugt, er wäre tot. Ich dachte, wir wären vor ihm sicher.«
»Und jetzt ist er es nicht und wir sind es nicht«, erwiderte Susan bitter. »Vermutlich sind wir es nie gewesen.«
»Die Frage ist doch«, warf Jeffrey ein, »was er eigentlich will? Wieso findet er uns gerade jetzt? Wieso hat er nicht einfach weitergemacht …«
»Ich weiß, was er will«, unterbrach ihn Susan. »Er hat es mir gesagt. Genauer gesagt, nicht er selbst. Und auch nicht explizit, aber …«
»Was?«
»Er will wiederhaben, was ihm gestohlen wurde.«
»Er will was?«
»Was ihm gestohlen wurde. Das war seine letzte Botschaft an uns.«
Erneut trat Schweigen ein, während alle über den Satz nachdachten.
Jeffrey reagierte als Erster: »Aber was zum Teufel, ich meine, was genau wurde ihm gestohlen?«
Diana war bleich geworden. Sie versuchte, das Beben in ihrer Stimme unter Kontrolle zu bekommen: »Das ist nicht schwer zu erraten. Was ihm gestohlen wurde? Du und deine Schwester. Und wer war der Dieb? Ich. Was habe ich ihm genommen? Ein Leben. Jedenfalls ein Leben, so wie er es entworfen hatte. Und deshalb sah er sich gezwungen, ein neues zu entwerfen.«
»Was hat das deiner Meinung nach zu bedeuten?«, fragte Susan.
»Ich würde vermuten«, sagte Diana leise, »Rache.«
»Sei nicht albern. Rache, die sich auch gegen Jeffrey und mich richtet? Was haben wir denn getan …«
»Nein, das leuchtet wirklich nicht ein«, unterbrach sie ihr Bruder. »Aber hinsichtlich Mutter schon. Wahrscheinlich ist sie in großer Gefahr. Wahrscheinlich sind wir das alle drei, auf unterschiedliche Weise und aus unterschiedlichen Gründen.«
»
Ich will zurück, was mir gestohlen wurde
«, wiederholte Susan ruhig die Botschaft. »Jeffrey, du hast recht. Seine Beziehung, falls man es so nennen kann, ist zu jedem von uns eine andere. Ich meine, Mutter ist für ihn etwas anderes als du und dann wieder ich. Für jeden von uns ein eigener Plan.«
Sie legte eine Pause ein, sah auf und stellte fest, dass ihr Bruder zustimmend nickte. »Man könnte es vielleicht so sehen«, fuhr sie fort. »Stellen wir uns mal vor, wir wären alle Teil eines Puzzles – wenn wir richtig zusammengesetzt werden, ergibt es ein fertiges Bild. Ich denke, wir stehen vor dem Problem, rechtzeitig herauszufinden, was für ein Bild das ist und wie alles zusammenpasst …«
Sie holte tief Luft.
»… bevor er es für uns zusammensetzt.«
Jeffrey rieb sich mit der Hand über die Stirn und lächelte. »Susan, erinnere mich dran, dass ich nie mit dir Karten spiele. Oder Schach. Oder auch nur Dame. Ich glaube, du hast absolut recht.«
Diana hatte sich die Tränen aus den Augen gewischt. In gefasstem Ton wiederholte sie: »Er spielt den Tod. Das ist sein Spiel. Und wir sind die Spielfiguren.«
Allen dreien war klar, dass sie die Wahrheit sagte.
Jeffrey erhob unwillkürlich ein wenig die Stimme; er vermutete,dass er wie in seinen Seminaren klang, wenn er den Studenten Fragen stellte. »Ich denke, es bringt herzlich wenig, sich wieder verstecken zu wollen«, erklärte er nachdenklich. »Vielleicht können wir ihm einen Strich durch die Rechnung machen, indem wir uns trennen, jeder geht in eine andere Richtung …«
»Garantiert nicht«, meinte Susan trocken.
»Susan hat recht«, stimmte Diana zu und wandte sich zum Bildschirm. »Nein«, sagte sie, »ich glaube, das würde nicht funktionieren, selbst wenn wir es einrichten könnten. Wir müssen etwas anderes machen. Etwas, das ich wahrscheinlich schon vor fünfundzwanzig Jahren hätte tun sollen.«
»Und was?«, fragte Susan.
»Ihn in seinem eigenen Spiel schlagen.«
Susan setzte ein bitter-süffisantes Lächeln auf, das von eiserner Entschlossenheit zeugte. »Klingt vernünftig. In Ordnung. Wenn wir uns also nicht verstecken, wo wollen wir ihn dann stellen? Oben in New Jersey?«
Wieder herrschte Stille.
»Jeffrey, du bist der Experte in solchen Fragen.« Susan wandte sich dem Bildschirm zu.
Jeffrey zögerte. »Seinen Vater zu fassen ist nicht dasselbe, wie einen Mörder zu stellen. Selbst wenn er beides in einem ist. Wir sollten uns entscheiden, was von beidem wir wollen. Unserem Vater entgegentreten oder einem Mörder.«
Die Frauen antworteten nicht. Er wartete eine Sekunde, dann fügte er im Brustton der Überzeugung hinzu: »Grendels Höhle.«
Diana sah ihn verständnislos an. »Könntet ihr mir das vielleicht erklären …« Susans
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