Das Rätsel
Pistole im Handschuhfach gelassen hatte, forderte der Wachmann ihn mit einer stummen Geste auf, durch den Metall detektor zu treten. »Dann schauen wir mal«, meinte er. Als Jeffrey kein Signal auslöste, wirkte er enttäuscht. »Vielleicht haben Sie ja eine von diesen neuen Hightech-Plastik-Pistolen dabei?«, fragte er, doch bevor Jeffrey antworten konnte, kam eine Frau aus einem der Büros.
Sie war jung, adrett und professionell, in einem bis zum Hals geschlossenen, eng sitzenden Herrenhemd, was Jeffrey in einem Anflug von spöttischem Humor zu der Spekulation verleitete, dass sie wahrscheinlich mit dem Anwalt schlief, der seine fade, auf Countryclubs versessene Ehefrau mit ihr betrog. Die konservative, zurückhaltende Kleidung diente wahrscheinlich dazu, ihre eigentliche Aufgabe zu verdecken. Er schmunzelte über seine Phantasie, glaubte jedoch nicht, dass er sich irrte.
»Mister?«
»Clayton. Jeffrey Clayton.«
Der Wachmann reichte ihr den Ausweis des Einundfünfzigsten Bundesstaates.
»Und in welcher Angelegenheit haben Sie die schöne neue Welt im Wilden Westen verlassen und eine so weite Reise auf sich genommen?«, fragte sie in beißend sarkastischem Ton.
»Mr. Smith hat vor einigen Jahren einen Mann vertreten, gegen den derzeit in unserem Territorium eine Großfahndung läuft.«
»Alle Angelegenheiten zwischen Mr. Smith und seinen Klienten sind streng vertraulich.«
Jeffrey lächelte. »Selbstverständlich.«
»Darum glaube ich kaum, dass er Ihnen helfen kann.« Sie reichte ihm seinen Ausweis zurück.
»Wie Sie meinen«, entgegnete Jeffrey. »Andererseits hätte ich vermutet, dass ein Anwalt diese Entscheidung lieber selbst trifft. Wenn Sie allerdings glauben, dass er es vorzieht, seinen Namen ohne Vorwarnung auf einer Anklageschrift oder in einer Schlagzeile der hiesigen Zeitung zu entdecken, nun ja, das liegt bei Ihnen.«
Irgendwie genoss Jeffrey die Situation. Bluffen war normalerweise nicht sein Stil.
Die Sekretärin starrte ihn eindringlich an, als hoffte sie, an seinen Mundwinkeln oder seinem Kinn abzulesen, ob er es ernst meinte oder nicht. »Folgen Sie mir«, gab sie schließlich nach. »Ich sehe mal, ob er zwei Minuten erübrigen kann.« Sie machte auf dem Absatz kehrt und sagte über die Schulter hinweg: »Das sind hundertzwanzig Sekunden. Nicht mehr.«
Sie führte Jeffrey in ein Vorzimmer mit teurem, unbequemem viktorianischem Mobiliar. Auf dem Boden lag ein großer handgeknüpfter Orientteppich. In der Ecke befand sich eine antike Standuhr, die nicht richtig ging, dafür aber laut tickte. Die Sekretärin deutete auf ein Sofa mit steiler Rückenlehne und suchte hinter einem Schreibtisch räumlich wie symbolisch Distanz zu Jeffrey. Sie nahm ein Telefon und sprach schnell in die Muschel, indem sie die Hand davorlegte, damit er sie nicht verstand. Nach einer Weile öffnete sich eine große Holztür, und der Anwalt trat ein. Er war spindeldürr mit einem grauen Haarschopf, der zu einem Pferdeschwanz gebunden über den Kragen seines maßgeschneiderten blauen Hemdes fiel. Die handgenähte Nadelstreifenhose wurde vonLederträgern gehalten. Seine italienischen Schuhe waren spiegelblank poliert. Die Hand, die er Jeffrey reichte, war knochig, groß und kräftig.
»Und welchen Ärger wollen Sie mir bereiten, Mr. Clayton?«, fragte der Anwalt zwischen zusammengepressten Lippen.
»Das kommt natürlich ganz drauf an«, erwiderte Jeffrey.
»Auf was?«
»Was Sie getan haben.«
Der Anwalt lächelte. »Dann hab ich nichts zu befürchten. Schießen Sie los, Mr. Clayton.«
Jeffrey reichte ihm den Brief, den er an Diana geschickt hatte. »Kommt Ihnen das bekannt vor?«
Der Anwalt las das Schriftstück langsam. »Kaum. Ist sehr lange her. Ganz vage kann ich mich entsinnen … ein schrecklicher Autounfall, so wie ich es hier geschrieben habe. Bis zur Unkenntlichkeit verbrannte Leichen. Tragische Todesfälle …«
»Er ist nicht gestorben.«
Der Anwalt zögerte, bevor er sagte: »Steht hier aber anders.«
»Er ist nicht gestorben. Schon gar nicht bei einem Autounfall. Erst recht nicht in selbstmörderischer Absicht.«
Der Anwalt zuckte die Achseln. »Ich wünschte, ich könnte mich erinnern. Das ist höchst seltsam. Sie meinen, der Mann ist nicht gestorben, obwohl ich auf seiner Beerdigung war? Muss ich jedenfalls gewesen sein, weil ich es hier erwähne. Glauben Sie vielleicht, ich habe die Gewohnheit, zu vorgetäuschten Begräbnissen zu gehen?«
»Dieser Mann, wie Sie ihn nennen, war mein
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