Das Rätsel
es auch erst mitgekriegt, weil wir ’nen Kammerjäger dahatten, und der hat es gemerkt, indem er an die Wände klopfte. Man kann die Tür kaum sehen. Oder, besser gesagt, als er das entdeckt hat, war gar keine Tür da. Das Zimmer war mit Spachtelmasse und Gips versiegelt. Als der Typ ordentlich dagegengehauen hat, klang es hohl, und wir beide wurden neugierig und haben es aufgestemmt.«
»Wie ein Geheimzimmer?«, fragte Jeffrey.
Der Mann breitete die Arme aus. »Keine Ahnung. Früher vielleicht mal. Wie eine Art Versteck. Muss lange her sein. Wollen Sie mal gucken?«
Jeffrey nickte.
»Okay. Nicht allzu sauber da unten, macht Ihnen hoffentlich nix aus.«
Hinter der Treppe befand sich eine kleine Tür, die, wie Jeffrey sich erinnerte, in den Keller hinabführte. Er konnte sich nicht entsinnen, da unten viel Zeit verbracht zu haben. Staubig,dunkel und für einen Neunjährigen keineswegs einladend. Er blieb auf dem oberen Treppenabsatz stehen, während der Eigentümer mit polternden Schritten nach unten ging. Da war noch etwas, erinnerte er sich. Eine entlegene Erinnerung zuckte ihm durch den Kopf: von ferne die leisen Klänge einer Violine, verborgen wie der Raum.
»Ist das der einzige Zugang?«, fragte er.
»Nein, es gibt noch einen von draußen, von der Seite. Eine Tür und ein Schacht, so wie die Leute früher an ihre Kohlenvorräte kamen. Natürlich ist der schon lange verschwunden.«
Der Mann drückte auf einen Lichtschalter, und Jeffrey sah einen Stapel Kisten und Kartons sowie ein altes Schaukelpferd. »Ist für nichts anderes mehr zu gebrauchen, nur noch Gerümpel«, seufzte der Mann.
»Wo ist die Tür?«
»Da drüben. Hinter dem Ölbrenner ausgerechnet.«
Jeffrey musste sich an dem Brenner vorbeiwinden, der im selben Moment mit einem dumpfen Geräusch ansprang. Die Tür, die der Mann erwähnt hatte, war eine Sperrholzplatte, die eine quadratische Öffnung in der Wand abdeckte und vom Boden bis auf Jeffreys Augenhöhe reichte.
»Hab dieses alte Holz drangemacht«, berichtete der Mann. »Wie gesagt, da war mal Spachtelmasse, sah aus wie ’ne Wand. Kein Mensch wär auf die Idee gekommen, dass es da ’n Zimmer gibt. War jahrelang zugekleistert. Vielleicht ursprünglich mal ’n Kohlenkeller, den man umgebaut hat. Gibt’s in vielen alten Häusern. Werden genauso wie die Kohlenminen dichtgemacht.«
Jeffrey schob das Brett zur Seite und beugte sich hinunter. Der Eigentümer schnappte sich eine Taschenlampe, die auf dem Sicherungskasten stand, und reichte sie Jeffrey. Im Einganghingen Spinnweben, die der Professor beiseitewischte, bevor er sich bückte und den Raum betrat.
Der Verschlag war etwa zwei mal drei Meter groß, mit einer zwei Meter vierzig hohen Decke, an der eine Schalldämmung in doppelter Dicke angebracht war. In der Mitte der Decke befand sich eine einzige, leere Lampenfassung. Keine Fenster. Es roch muffig wie in einer Gruft. Die Luft erinnerte an eine Krypta. Die Wände waren mit einer dicken Schicht Hochglanzweiß lackiert, in dem sich der Lichtstrahl der Taschenlampe spiegelte. Der Boden bestand aus grauem Zement.
Der Raum war leer.
»Sehen Sie?«, fragte der Hauseigentümer. »Wozu zum Teufel soll das gut sein? Nicht mal als Lagerraum. Zu mühsam, reinund rauszukommen. Vielleicht mal ein Weinkeller? Möglich wär’s. Auf jeden Fall kalt genug. Aber ich weiß nicht. Irgendwer hat ihn früher mal für irgendwas benutzt. Können Sie sich dran erinnern? Verflucht, hat was von einer Zelle im Alcatraz, nur dass sie da bestimmt ein Fenster zum Rausgucken haben.«
Jeffrey ließ den Lichtstrahl langsam über die Wände wandern. Drei waren leer. An einer befand sich jeweils kurz vor der Kante je ein kleiner Metallring, beide mit einem Durchmesser von vielleicht sieben Zentimetern.
Er richtete die Lampe auf die Ringe.
»Haben Sie eine Ahnung, wozu die Dinger dienen könnten?«, wandte er sich an den Hausbesitzer. »Wissen Sie, wer sie dort angebracht hat?«
»Ja, die hab ich zum ersten Mal gesehen, als ich und der Kammerjäger den Raum entdeckten. Nicht den leisesten Schimmer, Mann. Fällt Ihnen dazu was ein?«
Ihm fiel durchaus etwas ein, doch er sprach es nicht aus. Er wusste sogar ganz genau, wozu sie dienten. Wenn jemand andiesen Ringen angekettet wurde, dann hing er vor der weißen Wand wie ein Schnee-Engel. Jeffrey ging näher heran und strich mit dem Finger über die glatte weiße Farbe neben den Ringen. Er fragte sich, ob er wohl Einschnitte und Rillen in der verspachtelten
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