Das Rätsel
durch die Polizei. Ich bin Ihrem Vater zufällig in einem Tante-Emma-Laden über den Weg gelaufen. Wir haben beide ein paar Einkäufe gemacht. Der ist immer noch da, die Straße rauf, nicht weit vom Gelände der Akademie. Zigaretten, Zeitungen, Milch, Wasser und Lebensmittel, die gelinde gesagt ungenießbar sind …«
»Ja.«
»Er hat ein paar Witze gemacht. Zuerst über die staatliche Lotterie, dann über die Polizei. Er schien sich nichts aus der Sache zu machen. Wissen Sie, Mr. Clayton, dass Ihr Vater eine lässige Nonchalance besaß? Hinter dieser lockeren Art hat erviel von sich versteckt. Auf jeden Fall hat er damit seine Ader für Präzision kaschiert. Er hatte etwas von einem Naturwissenschaftler, denke ich. Er konnte amüsant, dann wieder schüchtern sein, aber unter der Fassade kalt und berechnend. Sind Sie auch so, Mr. Clayton?«
Jeffrey antwortete nicht.
»Er war ein höchst beängstigender Mann. Er konnte aalglatt sein, und er hatte etwas Lauerndes an sich, wie ein gefräßiger Hai. Ich entsinne mich, wie es mir bei einer Unterhaltung eines Abends kalt den Rücken herunterlief. Ich kam mir vor, als spräche ich mit einem Fuchs an der Tür zum Hühnerstall, der mir versichert, es gäbe keinen Grund zur Sorge. Eine Woche später dann erschien er plötzlich in meinem Büro. Völlig unerwartet. Ohne viel Federlesens erklärte er mir, er werde uns in der kommenden Woche verlassen. Keine wirkliche Erklärung, nur, dass er eine Erbschaft gemacht hätte. Ich erkundigte mich nach dem Verhör, aber er lachte nur und meinte, da sei nichts weiter. Ich fragte ihn, was er vorhätte, und er sagte – und daran erinnere ich mich genau –, er sagte, es gäbe Menschen, die er finden müsse. Diese Worte habe ich noch genau im Ohr.
Menschen, die er finden müsse.
Er hatte das Auge eines Jägers. Ich versuchte, mehr aus ihm herauszubekommen, doch er machte auf dem Absatz kehrt und ging zur Tür hinaus. Als ich später nach ihm gesucht habe, war er schon auf und davon. Hatte seine Schließfächer und Bücherregale leergeräumt. Ich rief bei ihm zu Hause an, doch das Telefon war schon abgeschaltet. Vielleicht ein, zwei Tage später bin ich bei ihm daheim vorbeigefahren, aber das Haus stand leer, und es prangte ein Verkaufsschild vor dem Eingang. Mit einem Wort, er war verschwunden. Das hatte ich kaum verdaut, als ich die Nachricht von seinem Tod erhielt.«
»Wann war das?«
»Na ja, ich weiß noch, dass wir uns glücklich schätzen konnten, denn es war nur noch eine Woche bis zu den Weihnachtsferien, und wir mussten nur ein paar von seinen Unterrichtsstunden überbrücken. Wir waren gerade dabei, einen Ersatz zu suchen, als wir von dem Autounfall hörten. Am Silvesterabend. Alkohol und überhöhte Geschwindigkeit. Nicht allzu ungewöhnlich, leider Gottes. In der Nacht hatte es die ganze Ostküste entlang gefrierenden Nieselregen gegeben und entsprechend viele Unfälle, darunter den Ihres Vaters. Jedenfalls wurde es uns so mitgeteilt.«
»Wissen Sie zufällig noch, wie Sie davon erfuhren?«
»Ah, eine ausgezeichnete Frage. Durch einen Anwalt vielleicht? In diesem Punkt kann ich mich nicht mehr so gut erinnern, wie ich es eigentlich sollte.«
Jeffrey nickte. Das leuchtete ein. Er wusste auch, welcher Anwalt angerufen hatte.
»Und das Begräbnis?«
»Also, das war merkwürdig. Niemand, den ich kannte, hatte irgendetwas über Zeit, Ort und dergleichen erfahren, also ging keiner hin. Das könnten Sie vielleicht im Mikrofilmarchiv der
Trenton Times
nachprüfen.«
»Das werde ich tun. Können Sie sich sonst noch an etwas erinnern, das mir möglicherweise weiterhelfen würde?«
Der alte Historiker lächelte trocken. »Aber, mein armer Mr. Clayton, ich bezweifle sehr, dass ich Ihnen irgendetwas erzählt habe, das Ihnen weiterhelfen könnte. Viel, das Sie verstören muss. Einiges, von dem Sie Alpträume bekommen könnten. Ganz bestimmt einiges, das Ihnen heute, morgen und wahrscheinlich noch lange Zeit zu schaffen machen wird. Aber helfen? Nein, ich glaube kaum, dass Wissen dieser Art irgendjemandem hilft. Schon gar nicht einem Kind. Nein, es wäre viel klüger von Ihnen gewesen – und besser für Sie außerdem–, diese Fragen nie zu stellen. Es mag zwar selten sein, aber zuweilen ist dieses weiße Feld, dieses Nichtwissen der Wahrheit vorzuziehen.«
»Da mögen Sie recht haben«, erwiderte Jeffrey kalt, »aber ich hatte keine Wahl.«
Jeffrey stieg der beißende Geruch von Rauch in die Nase, ohne dass er hätte
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