Das Rätsel
unterkriegen als sonst, was irgendwie merkwürdig ist. Ich habe das seltsame Gefühl, dass die Sache bei ihr Kräfte mobilisiert. Jeffrey, weißt du, wie krank sie ist?«
Jetzt verstummte ihr Bruder. Ihm lagen mehrere Antworten auf der Zunge, aber er brachte nur ein schwaches »Sehr«, heraus.
»Ja. Sehr. Im Endstadium.«
Sie schwiegen beide, während er versuchte, das Wort zu begreifen.
Die Vergangenheit seines Vaters erschien Jeffrey wie eine Platte aus nassem Zement, der gekonnt geglättet und über die Jahre ausgehärtet war. Die Vergangenheit seiner Mutter hingegen war für ihn wie eine Leinwand in flammenden Farben. Das war der Unterschied zwischen beiden.
Susan schüttelte den Kopf. »Aber sie
will
hier sein. Wie gesagt, das alles scheint ihr einen wahren Energieschub zu geben. Obwohl wir den ganzen Tag auf Reisen waren, wirkte sie noch ziemlich munter.«
Jeffrey schwieg, und in diesem Moment kam ihm eine Idee. »Meinst du, dass du Mutter allein lassen kannst?«, fragte er. »Nicht für lange. Nur für einen Tag.«
Susan antwortete nicht sofort. »Wieso? Was hast du vor?«
»Vielleicht möchtest du bei einer Vernehmung dabei sein. Dann hast du eine bessere Vorstellung davon, womit wir es zu tun haben, und auch davon, womit ich meine Brötchen verdiene.«
Susan zog interessiert eine Augenbraue hoch. »Klingt aufregend. Ich weiß nur nicht, ob ich Mutter …« Sie hörte hinter sich ein Geräusch und drehte sich um. Diana stand am unteren Treppenabsatz und betrachtete sie und Jeffrey auf dem Bildschirm. Sie beantwortete die Frage für alle beide.
»Hallo, Jeffrey«, begrüßte sie ihren Sohn mit einem Lächeln. »Ich habe deine Stimme gehört und dachte, ich träume, doch dann habe ich gemerkt, dass du es wirklich bist, deshalb bin ich runtergekommen. Ich kann es kaum abwarten, bis wir drei wieder zusammen sind.«
Diana drehte sich zu ihrer Tochter um und dachte an all die wenigen Worte, die Susan und Jeffrey über die letzten Jahremiteinander gewechselt hatten, und sie fand es beinahe amüsant, dass ihre Beziehung ausgerechnet durch den Mann wieder ins Lot kommen sollte, vor dem sie als Kinder geflohen waren. »Geh«, sagte sie. »Für einen Tag schaffe ich das schon. Ich werde es einfach ruhig angehen lassen. Mich ein bisschen erholen. Vielleicht einen Spaziergang machen. Oder ich lasse mir von jemandem ein bisschen mehr vom Territorium zeigen. Jedenfalls gefällt es mir hier, glaube ich. Es ist sehr sauber. Und ruhig. Es erinnert mich ein bisschen daran, wie es in meiner Kindheit war.«
Das überraschte Susan. »Tatsächlich?« Sie nickte. »In Ordnung. Wenn du sicher bist …« Ihre Mutter winkte ab. »Was soll ich machen?«, fragte sie ihren Bruder.
»Fahr morgen früh zum Flughafen und nimm den ersten Flieger nach Texas. Von da eine Pendlerverbindung nach Huntsville. Der Computercode, den Agent Martin dir gegeben hat, sollte das alles abdecken, das Buchen der Flüge, die Bezahlung und alles andere. Nimm nicht viel Gepäck mit und auf gar keinen Fall Waffen.«
»In Ordnung. Was gibt es in Huntsville, Texas?«
»Einen Mann, bei dessen Festnahme ich geholfen habe.«
»Er sitzt im Gefängnis?«
»Im Todestrakt.«
»Nun denn«, meinte sie nach kurzem Zögern. »Dann weiß er wohl, was er von der Zukunft zu erwarten hat.«
In seinem Büro in der Staatssicherheit spielte Agent Robert Martin das Band mit dem Telefongespräch zwischen Bruder und Schwester ab. Auf seinem Videomonitor musterte er Jeffreys Gesicht und suchte nach Anzeichen dafür, dass der Professor an Informationen gekommen war, die sie zu ihrer Zielperson führen könnten. Nach der Unterhaltung mit seinerSchwester zu urteilen war Jeffrey tatsächlich fündig geworden. Doch Agent Martin widerstand der Versuchung, sie mit aggressiven Mitteln aus ihm herauszubekommen. Was er wissen musste, würde er rechtzeitig erfahren, solange er aufmerksam beobachtete und abhörte.
Er beendete die Wiedergabe des Telefonmitschnitts und stellte den Computer so ein, dass alles, was Mutter oder Tochter auf den Hauscomputern machten, auch auf seinem Monitor erschien. Wenige Minuten später sah er, wie erwartet, die Buchung der Flüge. Kurz danach war für den frühen Morgen ein Taxi zum Flughafen bestellt. Auch die Gespräche im Haus waren separat aufgezeichnet worden, doch er kam zu dem Schluss, dass er die nicht zu belauschen brauchte.
Martin zuckte auf seinem Stuhl zusammen. Der unglaubliche Hulk, dachte er irritiert. Er merkte, dass er mit
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