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Das Rätsel

Titel: Das Rätsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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hatte gesagt: »Wir gehen …«, und das haben wir gemacht. Dann kam ein neues Leben, in sicherer Entfernung von Hopewell.
    Er lächelte. Wir sind nach Südflorida gegangen. Genau wie die Flüchtlinge, die aus Kuba und Haiti dort stranden. Aus einer ähnlichen Diktatur geflohen. Ein guter Ort, um zu verschwinden. Wir kannten keinen Menschen. Hatten keine Angehörigen. Keine Freunde. Keinerlei Beziehungen. Keinen Beruf. Keine Schule. Es gab keinen einzigen der üblichen Gründe, um an einen bestimmten Ort zu ziehen. Keiner kannte uns, und wir kannten keinen.
    Wieder fielen ihm die Worte seiner Mutter ein. Einmal – vielleicht einen Monat später? – sagte sie, hier würde er sie niemals suchen. Sie war ein Kind aus dem Norden und hasste die Hitze. Hasste den Sommer, besonders die drückende Schwüle der Südstaaten. Sie bekam davon Nesselausschlag und Asthmaanfälle, so dass sie schon bei der leisesten Anstrengung keuchte. Deshalb erzählte sie ihm und seiner kleinen Schwester: »Darauf, dass ich nach Süden gegangen bin, kommt er nie. Er wird glauben, ich wollte nach Kanada. Ich hab ständig von Kanada geredet …« Und das musste als Erklärung genügen.
    Er dachte an Hopewell. Ein Städtchen auf dem Lande, inmitten von Bauernhöfen – daran konnte er sich noch erinnern. Es grenzte an Princeton, das sich früher einmal einer ehrwürdigen Uni hatte rühmen können, bis um die Jahrtausendwendedie Rassenunruhen in Newark außer Kontrolle geraten waren – als hätte man fünfzig Meilen den Highway hinunter ein Streichholz an die Lunte gehalten, so dass in der traditionsreichen Lehranstalt das Pulverfass explodierte und nach Brand und Plünderungen wenig übrig blieb. Außerdem kannte man den Namen der Stadt als Schauplatz einer berühmten Entführung, Jahre, bevor er geboren worden war.
    Aber wir sind weggegangen, rief er sich ins Gedächtnis. Und nie zurückgekehrt.
    Er leerte das Glas Wodka in einem Zug. Mit einem Mal packte ihn eine trotzige Wut. Wir sind nie zurückgekehrt, wiederholte er drei-, viermal.
Also verpiss dich, Agent Martin
.
    Ihm war nach einem zweiten Glas. Er fand es nicht gut, doch dann dachte er: Wieso eigentlich nicht? Diesmal goss er sich allerdings nur ein halbes ein und zwang sich, es in kleinen Schlucken zu trinken. Er beugte sich nach unten, fand das Telefon auf dem Boden und wählte zügig die Nummer seiner Schwester in Florida.
    Das Telefon klingelte einmal, und er legte auf. Er rief sie nicht gerne an, wenn es nichts zu besprechen gab, und ihm wurde bewusst, dass er vorerst nichts als Fragen hatte.
    Er lehnte sich zurück und stellte sich das kleine Haus vor, in dem sie einmal alle daheim gewesen waren. Es ist gerade Ebbe, dachte er, ich bin mir sicher. Das Wasser geht zurück, und man kann von der Küste aus hundert, nein, zweihundert Meter weit laufen und nach dem Lärmen des Leopardenrochens horchen, der in einem der Kanäle ungestüm in die Höhe springt, um mit einem lauten Klatschen im azurblauen Wasser zu landen. Das wäre schön. Noch einmal in den Upper Keys zu sein und im seichten Meer zu waten. Vielleicht ragte plötzlich irgendwo die Schwanzflosse einer Meeräsche aus den Wellen, in der sich das letzte Tageslicht spiegelte. Oder auchdie Finne eines Hais, der durchs flache Gewässer glitt, um leichte Beute zu machen.
    Susan kannte die besten Stellen, und sie bekamen immer etwas an die Angel.
    Als Kinder hatten Bruder und Schwester zusammen Stunden beim Fischen verbracht. Jetzt, wurde ihm bewusst, ging sie alleine.
    Er schwelgte einen Moment in der Erinnerung an die sanfte, warme Dünung um die Beine, doch als er die Augen öffnete, sah er nichts weiter als die Aktentasche des Agenten, die er achtlos vor sich auf den Boden geworfen hatte.
    Er hob sie auf und wollte sie quer durchs Zimmer schleudern, als er jedoch mit dem Arm ausholte, hielt er mitten in der Bewegung inne.
    Er überlegte:
Was du da in der Hand hältst, ist nur ein weiterer Alptraum. Wäre schließlich nicht der erste, den du in dein Leben lässt. Was macht schon einer mehr oder weniger?
Jeffrey Clayton lehnte sich wieder zurück, seufzte einmal tief und öffnete die billige Metallschnalle, mit der die Tasche verschlossen war.
     
    Er zog drei braune Umschläge heraus, warf rasch einen Blick in alle drei und sah, dass jeder mehr oder weniger dasselbe enthielt und auch mehr oder weniger das, was er erwartet hatte; Tatortfotos, gekürzte Polizeiprotokolle sowie einen Autopsiebericht für jedes der drei Opfer. So

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