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Das Rätsel

Titel: Das Rätsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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ihn vielleicht mit mir zusammen lesen.«
    Susan betrachtete eingehend den Umschlag mit den Initialen J. C. »Na ja«, meinte sie, »wohl ziemlich eindeutig, an wen er gerichtet ist, es sei denn, Jesus Christus stünde auf der Adressenliste unseres lieben alten Dad. Mach ihn auf.«
    Jeffrey nahm vorsichtig wie ein Assistenzarzt, der seiner ruhigen Hand noch nicht ganz traut, die Pinzette und öffnete den Umschlag. Er war mit Tesafilm und nicht mit Spucke zugeklebt, stellte Jeffrey mit Bedauern fest. Bruder und Schwester sahen, dass darin ein Blatt gewöhnliches weißes Notizpapier steckte. Er packte es behutsam an der Ecke und entfaltete es auf der Kühlerhaube.
    Einen Moment lang schwiegen sie beide.
    »Da hol mich der Teufel«, fluchte Susan, indem sie die Worte durch die Zähne pfiff.
    Das Papier war leer.
    Jeffrey zog die Stirn in Falten. »Das ist mir zu hoch«, stellte er ruhig fest.
    Er drehte das Blatt um und sah, dass auch die Rückseite unbeschriftet war. Er hielt das Papier in die Höhe, gegen die untergehende Sonne, und suchte nach irgendwelchen Zeichen dafür, dass es beschrieben worden war, und sei es mit Zitronensaft oder einer anderen Substanz, die unter Röntgenlicht erscheinen würde.
    »Ich werde ihn wohl in ein Labor mitnehmen müssen«, überlegte er. »Es gibt Techniken, um eine unsichtbare Schrift sichtbar zu machen. Schwarzlicht, Laser, alles Mögliche. Ich frage mich nur, wieso er das, was er geschrieben hat, versteckt.«
    Susan schüttelte den Kopf. »Du stehst auf deiner Leitung, nicht wahr?«
    »Wie meinst du das?«
    »Das unbeschriebene Blatt. Das
ist
seine Botschaft an dich.« Jeffrey schnappte nach der zunehmend kalten Luft. »Das musst du mir erklären«, bat er leise.
    »Ein unbeschriebenes Blatt sagt so viel wie eines, das vollgeschrieben ist. Wahrscheinlich sogar mehr. Es sagt, du weißt nichts. Es soll dir sagen, er ist eine unbekannte Größe, Tabula rasa. Es sagt dir auch, du sollst aus dem, was du siehst, lernen, und nicht aus dem, was man dir sagt. Was ist ein Kind für einen Vater? Du fängst mit einem unbeschriebenen Blatt an und formst das Kind zu einer Persönlichkeit. Steckt eine ganze Menge drin. Die weiße Leinwand, die auf den ersten Pinselstrich des Malers wartet. Die ersten Worte des Autors auf einer leeren Seite. Es ist alles symbolisch. Das, was er nicht sagt, wirkt viel stärker als das, was er vielleicht hätte sagen können. Symbolik. Symbolik. Symbolik.«
    Langsam nickte ihr Bruder. »Der Detective ist ein Mann der handfesten Dinge …«, sinnierte er.
    »Aber der Mörder drückt sich in Bildern aus.«
    Wieder nahm Jeffrey einen tiefen Zug von der kühlen Luft des windstillen Abends. »Und der Professor, der Lehrer …«, begann er.
    »Sollte in der Lage sein, beides zu überbrücken«, brachte Susan den Satz zu Ende.
    Jeffrey wandte sich vom Wagen ab und machte ein paar energische Schritte zurück zum Weg.
    Susan zögerte und ließ ihm einen Vorsprung, dann rannte sie ihm hinterher.
    Beide gingen in zügigen Laufschritt über, während sie schweigend ihren Gedanken nachhingen. Susan kroch die Angst den Rücken hoch, als sie sah, wie ihr Bruder mit seinen aufgewühlten Gefühlen kämpfte.
    »Wir sollten einfach schleunigst abhauen«, rief er und blieb abrupt stehen.
    »Nein«, widersprach sie. »Er hat uns gefunden. Wir können uns nicht wieder verstecken.«
    »Aber was sollen wir machen? Ihn verhaften? Töten? Ihn bitten, uns in Frieden zu lassen?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Er ist bösartig.«
    »Ich weiß.«
    »Und er ist ein Teil von uns. Oder meinetwegen auch wir von ihm.«
    »Und?«
    »Ich weiß nicht, Susie?«
    Wieder trat Schweigen ein.
    Jeffrey wandte sich von seiner Schwester ab und starrte den Pfad hinauf.
    »Was zum Teufel hat Martin da oben verloren?«, fragte er unvermittelt.
    In diesem Moment entdeckte er eine kleine schwarze Form auf dem losen Sand. Sie ähnelte einem Stein, war aber für einen natürlichen Gegenstand viel zu rund. Jeffrey hob das Ding auf und klopfte den Staub ab. Es war die Schutzkappe eines der Ferngläser. Er blickte zum Wagen zurück und lief dann weiter, während seine Schwester mit ihm Schritt hielt.
    Sie marschierten zügig um die kleine Kurve, dann den Pfad hinunter. »Wonach hat er hier oben gesucht?«, fragte Jeffrey.
    Susan blieb stehen. Sie zeigte geradeaus, und Jeffrey sah unter sich den Komplex der Reihenhäuser.
    »Nach uns«, erklärte sie. »Der gute Agent hat uns ausspioniert! Wieso?«
    Jeffrey überlegte

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