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Das Rätsel

Titel: Das Rätsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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erregend für ihn wie das Töten selbst. Und wenn es dann glatt und präzise ausgeführt wird, muss es für ihn der vollkommene Nervenkitzel sein.
    Jeffrey dachte an die Violine in den Händen seines Vaters: erst die Läufe, dann die Tonleiter herauf und herunter, dann die Griffe und Fingerpositionen, dann jeder Ton einzeln, bis er saß – und erst dann spielte er die ganze Symphonie von Anfang bis Ende.
    Jeffrey holte sich einen weiteren Bauplan auf den Bildschirm. Er versuchte, sich an die Kinder großer Musiker zu erinnern – eines Komponisten, dessen Werke die Jahrhunderte überdauert hatten und dessen Kind sich mit dem Genie des Vaters hätte messen können. Er musste passen. Er dachte an Künstler, Schriftsteller, Dichter, Filmemacher – doch ein Beispiel von einem Kind, das den Vater übertraf, fiel ihm nicht ein.
    Bin ich wie er?, fragte er sich.
    Er betrachtete die Pläne vor sich auf dem Monitor. Ein schönes Haus, dachte er. Lichtdurchflutet, voll eleganter Formelemente und einer Raumgestaltung, die wie so viele Häuser im Einundfünfzigsten Bundesstaat optimistisch von der Zukunft und nicht der Vergangenheit kündeten.
    Er drückte eine Taste und schickte die Pläne auf Nimmerwiedersehen in den elektronischen Speicher zurück. Der nicht. Er warf seiner Schwester einen Seitenblick zu. Auch sie schüttelte den Kopf und ging zum nächsten Haus über.
    So saßen Bruder und Schwester stundenlang beisammen und arbeiteten.
    Jedes Mal, wenn einer von ihnen einen Bauplan mit Grundrissen aufrief, die zu ihrer Hypothese passten, merkten sie ihn vor. Dann überprüften sie die Lage, um zu sehen, wie sich dieses Haus in die Nachbarschaft einfügte. Als Letztes bot der Computer ihnen eine dreidimensionale Ansicht des Eigenheims. Erfüllte der entscheidende Raum die Kriterien der richtigen Lage, Isolation und gleichzeitigen Zugänglichkeit, sahen sie sich die genaueren Angaben des Architekten zu Materialien an, die den Schall im Raum dämpfen würden.
    Bei diesem Ausschlussverfahren blieben am Ende nur wenige Häuser übrig, die über ein Zimmer verfügten, das für die Musik des Todes geeignet war.
    Erst in den frühen Morgenstunden hatten sie ihre Liste auf sechsundvierzig Häuser reduziert.
    Susan streckte sich. »Und jetzt stellt sich die Frage«, überlegte sie, »wie wir – ohne an jede Tür zu klopfen – herausfinden, welches davon unserem Vater gehört, immer vorausgesetzt, unsere These ist richtig. Wie können wir sie noch weiter eingrenzen?«
    Bevor Jeffrey die Frage seiner Schwester beantworten konnte,hörte er ein Geräusch hinter sich. Er drehte sich auf seinem Stuhl um und sah seine Mutter im Eingang stehen. »Du wolltest dich doch ausruhen«, sagte er.
    »Mir ist eine Idee gekommen. Eigentlich zwei«, erwiderte Diana. Sie durchquerte das Zimmer, blieb stehen und betrachtete die letzte schematische Zeichnung auf dem Bildschirm vor Susan.
    »Was denn?«, erkundigte sich Susan.
    »Zunächst einmal sind wir hier, weil er will, dass wir ihn finden. Weil er drei verschiedene Vorhaben hat. Das hat er uns schon deutlich gezeigt.«
    »Sprich weiter«, bat Jeffrey bedächtig. »Wie meinst du das?«
    »Also, er hat schon einmal versucht, mich umzubringen. Seine Bitterkeit mir gegenüber müsste einer einzigen kalten Wut gewichen sein. Ich hab ihm euch weggenommen. Und jetzt habt ihr beide mich, wenn man so will, wieder zu ihm gebracht. Er wird mich töten und meinen Tod genießen.«
    Diana schwieg, als sich ihr ein Bild aufdrängte. Für ihn ist die Vorstellung, mich zu töten, wohl so, wie für einen Mann, der an einem heißen Sommertag das durstlöschende Glas Wasser vor sich sieht, dachte sie.
    »Dann musst du hier weg«, bestimmte Susan. »Es war von vornherein ein Fehler, dich herzubringen …«
    Diana schüttelte den Kopf. »Ich bin genau da, wo ich hingehöre«, erklärte sie entschieden. »Aber was er mit euch beiden vorhat, ist etwas anderes. Susan, ich glaube, für dich stellt er die geringste Bedrohung dar.«
    »Für mich? Wieso?«
    »Weil er derjenige war, der dich in der Bar gerettet hat, und möglicherweise gab es schon andere Gelegenheiten, von denen wir nichts wissen. Für die meisten Väter ist eine Tochter etwas Besonderes, egal wie schrecklich der Vater sein mag.Viele haben einen Beschützerinstinkt. Sie sind, auf ihre Weise, verliebt. Ich glaube, so abstrus das auch sein mag, er will, dass du ihn liebst. Deshalb glaube ich nicht, dass er dich töten will. Ich denke eher, dass er dich auf

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