Das Rätsel
hatte; ob dasselbe allerdings auch für seine Frau oder seine neuen Kinder galt, war eine andere Sache.
Auf seinem Weg zum Direktor der Staatssicherheit tappten seine Sohlen leise auf dem glänzenden Boden. Was gibt ihm die Familie?, fragte er sich. Die Antwort lautete: Sicherheit. Einhaltung der Vorschriften im Einundfünfzigsten Staat. Die Tünche der Normalität, genau wie wir seinerzeit. Was noch?Er hegte nicht den geringsten Zweifel, dass sein Vater alles daransetzen würde, nicht noch einmal – wie damals von ihrer Mutter – verraten zu werden. Und so leuchtete ihm die Vorstellung immer mehr ein, dass der- oder diejenigen, die sein Vater bei sich hatte, bei der Planung und Ausführung seiner Perversionen eine aktive Rolle einnahmen.
Eine Frau mit einem entscheidenden Charakterfehler, dachte er. Aber auch mit Talenten.
Eine Sadistin wie er. Eine Mörderin wie er.
Andererseits kein selbstständiger Mensch. Keine kreative Persönlichkeit. Keine Person, die die Wünsche ihres Mannes auch nur für einen Moment in Frage stellen würde.
Eine Frau, die ihm Treue und Hingabe entgegenbrachte. So jemanden hat er gefunden und hierher mitgebracht, um sich in einem neuen Leben einzurichten. Wie ein höllisches Pilgerpaar, das an den Gestaden der neuen Welt an Land gegangen war.
Aber wo mochte er sie gefunden haben?
Diese letzte Frage ließ Jeffrey nicht mehr los. Sein Vater suchte sich zweifellos wie so viele andere Wiederholungstäter mit schlafwandlerischer Sicherheit seine Opfer aus und fand unter noch so vielen jungen Frauen mit teuflischem Gespür die Schwachen, Unentschlossenen und Anfälligen. Doch die Wahl einer Partnerin war etwas vollkommen anderes. Es erforderte eine gründliche Überprüfung.
Jeffrey hielt in seinen Gedanken inne.
Und was ist aus dieser Verbindung hervorgegangen?
Er öffnete die Tür zu dem riesigen Labyrinth der Bürokabinen in der Abteilung Sicherheit und ließ das stete Treiben auf sich wirken. Ihm kam plötzlich eine Idee, die ihn zum Schmunzeln brachte.
Er durchquerte eilig den Raum und grüßte beschwingt verschiedeneSekretärinnen oder Computerexperten, die aufsahen, um ihm im Vorübergehen zuzunicken.
Vor dem Büro des Direktors blieb er stehen, und die Empfangsdame winkte ihn mit den Worten durch: »Er erwartet Sie schon seit einer Stunde. Gehen Sie direkt rein.«
Jeffrey nickte und machte einen Schritt in Richtung Tür, blieb aber plötzlich stehen und drehte sich um, als wäre ihm gerade etwas eingefallen. »Sagen Sie«, fragte er die Sekretärin wie beiläufig, »ob Sie mir vielleicht einen kleinen Gefallen tun könnten? Ich bräuchte für diese Besprechung mit dem Direktor ein Dokument, aber ich hatte bis jetzt noch keine Zeit, es mir zu besorgen. Könnten Sie es mir vielleicht über Ihren Computer ausdrucken?«
Die Sekretärin lächelte. »Natürlich, Professor Clayton, worum handelt es sich denn?«
»Ich hätte gerne eine Liste mit sämtlichen Leuten, die für die Staatssicherheit arbeiten.«
Die Sekretärin sah ihn entgeistert an. »Mr. Clayton, das sind auf den ganzen Staat gerechnet fast zehntausend Menschen. Meinen Sie, in jeder Nebenstelle und in jedem Büro der Staatssicherheit? Und was ist mit den Sicherheitskräften, die bei der Einwanderungsbehörde arbeiten? Wollen Sie die auch, das wären nämlich mehr als …«
»Ach so«, meinte Jeffrey immer noch lächelnd. »Tut mir leid. Nur die Frauen bitte. Und nur diejenigen, die Zugang zu Computercodes haben. Das sollte die Zahl um einiges reduzieren.«
»Über vierzig Prozent der Staatssicherheit sind Frauen«, wandte die Sekretärin ein. »Und von denen kennen fast alle zumindest einige der Computerverschlüsselungen und Passwörter.«
»Ich brauche die Liste trotzdem.«
»Selbst auf dem Schnelldrucker wird das eine ganze Weile dauern …«
Jeffrey überlegte. »Wie viele verschiedene Stufen gibt es bei den elektronischen Sicherheitssperren? Ich meine, je höher Sie die Informationsleiter in der Staatssicherheit erklimmen, wie viele Kontrollstufen sind da eingebaut?«
»Es gibt zwölf, von der Eingangsebene, auf der man nur Zugang zu Routineinformationen über das Sicherheitsnetzwerk hat, bis ganz nach oben, wo man sich in jeden Computer einloggen kann, einschließlich dem meines Chefs. Aber auf den obersten Ebenen sind zusätzlich individuelle Verschlüsselungen eingebaut, um Dokumente vertraulich zu behandeln.«
»Also gut, dann drucken Sie mir eben nur die Namen der Frauen auf den obersten drei
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