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Das Rätsel

Titel: Das Rätsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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leidenschaftlichen Wissenschaftlers, der sich im Eigenversuch einen tropischen Krankheitserreger spritzt, um die Wirkung zu studieren und das Wesen der Krankheit ganz zu verstehen.
    Infiziere dich mit diesen Mördern, und dann verstehe sie.
    Mit dem Enthusiasmus eines Studenten beim Lernen für die Abschlussprüfung zu einem Seminar, zu dem er bestenfalls sporadisch erschienen war, machte sich Jeffrey daran, das gesamte Aktenmaterial zu den Morden zu lesen, wobei er sich Agent Martins Verhör seines Vaters für zuletzt aufhob.
    Als er irgendwann zu diesen Seiten kam, erfasste ihn eine innere Leere. Über zweieinhalb Jahrzehnte hinweg hörte er die Stimme seines Vaters mühelos heraus – gewandt, sarkastisch, unerschrocken, stets mit einem Anflug von Verärgerung. Er hielt inne, um sein eigenes Gedächtnis kritisch zu prüfen:Woran erinnere ich mich hinsichtlich dieser Stimme? Ich entsinne mich, dass sie immer irgendwie Funken sprühte, dass unterschwellige Wut darin mitschwang. Hat er geschrien? Nein. Ein Ärger, der sich Luft gemacht hätte, wäre besser gewesen. Sein Schweigen war viel schlimmer.
    Die Worte des Mannes sprangen ihm entgegen: »Wie kommen Sie darauf, Detective, dass ich Ihnen weiterhelfen kann? Was bringt Sie auf den Gedanken, ich könnte bei dieser Sache die Hand im Spiel gehabt haben?«
    »Ist Mord nicht ein Mittel, die Wahrheit herauszufinden? Die Wahrheit über einen selbst, die Wahrheit über die Gesellschaft? Die Wahrheit über das Leben?«
    »Sind Sie nicht auch ein Philosoph, Detective? Ich dachte eigentlich, alle Polizisten seien Philosophen des Bösen. Müssen sie schließlich sein. Das ist ein unerlässlicher Bestandteil ihres Fachgebiets.«
    Und schließlich: »Da bin ich doch einigermaßen überrascht, Detective. Dass Sie kaum etwas über Geschichte wissen. Mein Fachgebiet, Geschichte. Moderne europäische, genauer gesagt. Das Vermächtnis kluger weißer Männer. Großer Männer. Männer mit Weitblick. Und was hat uns die Geschichte dieser Männer gelehrt, Detective? Sie hat uns gelehrt, dass der Wunsch zu zerstören genauso kreativ ist wie der Wunsch, etwas zu schaffen. Und jeder halbwegs fähige Historiker kann Ihnen sagen, dass am Ende wahrscheinlich mehr Dinge aus Asche und Trümmern neu erstanden sind als aus Frieden und Reichtum.«
    Agent Martins Antworten – wie auch seine Fragen – waren kurz und unverbindlich gewesen. Er hatte einfach nur auf Auskünfte gedrängt und sich auf keine Diskussion eingelassen. Es war eine gute Technik, fand Clayton. Wie aus dem Lehrbuch, genau wie Martin es ihm erzählt hatte. Eine Technik,die hätte funktionieren müssen. Die in neunundneunzig von hundert Fällen funktioniert hätte.
    In diesem Fall verfing sie nicht.
    Je mehr sein Vater gefragt wurde, desto vager und undurchsichtiger wurden seine Antworten. Je mehr der Agent in ihn drang, desto ausweichender die Reaktionen. Er schnappte nach keinem Köder, den der Mann von der Kripo auslegte. Noch sagte er irgendetwas, das ihn belastet hätte.
    Es sei denn, man wertete alles, was er sagte, als belastend.
    Mit einem Mal nervös, ruckte Jeffrey auf seinem Stuhl vor und zurück. Er merkte, wie ihm Schweiß die Achseln herunterrann. Er griff nach einem Kugelschreiber auf seinem Schreibtisch. Er ließ ihn zu Boden fallen und zertrat ihn mit dem Schuh. Ihn überrollte blanke Wut.
Du hast es vor der Nase,
dachte er.
Im Grunde lief das, was er sagte, auf etwas ganz Einfaches hinaus: Ja, ich bin der, für den du mich hältst – aber du kriegst mich nicht.
    Jeffrey ließ die Mitschrift auf den Schreibtisch fallen. Er war nicht mehr in der Lage weiterzulesen.
    Ich kenne dich, dachte er.
    Um es ebenso schnell in Frage zu stellen: Wirklich?
    Hinter ihm ging mit einem leisen Rauschen die Tür zu seinem Büro auf. Er fuhr auf seinem Drehstuhl herum und sah, wie Agent Martin energisch eintrat und die Tür hinter sich zuschlug. Das elektronische Schloss machte ein titschendes Geräusch.
    »Irgendwelche Fortschritte, Prof?«, erkundigte er sich. »Auf dem Weg zu Ihrer ersten Million schon ein gutes Stück vorangekommen?«
    Clayton zuckte nur die Achseln, um sich die Emotionen, die ihn gerade überflutet hatten, nicht anmerken zu lassen. »Wo sind Sie gewesen?«
    Der Detective ließ sich auf einen Stuhl fallen und sagte in verändertem Ton: »Hab das Verschwinden unseres zweiten jungen Mädchens überprüft. Das, von dem ich Ihnen schon in Massachusetts erzählt habe. Siebzehn Jahre alt, hübsch wie ein

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