Das Rätsel
schon. Beide erwachsen. Brauchen ihren alten Herrn nur noch selten. Bekomme sie beide nicht oft zu Gesicht. Na ja, ich lebe also allein.«
Clayton nickte, was dem Gebot der Höflichkeit zu entsprechen schien.
»Ist hier natürlich ungewöhnlich.«
»Wie meinen Sie das?«
»Der Staat hat’s nicht so mit alleinstehenden erwachsenen Männern. Der Staat preist die Familie als Ideal. Alleinstehende Männer machen meist nur Ärger. Mit ein paar wenigen müssen wir uns abfinden – mit Leuten in meiner Situation zum Beispiel, und egal, wie viele Erhebungen wir im Vorfeld der Immigration anstellen, gibt es immer noch ein paar Scheidungen, auch wenn wir bei einem Zehntel des nationalen Durchschnitts liegen. Trotzdem, grundsätzlich nein. Um reinzukommen und drinnen zu bleiben, brauchen Sie eine Familie. Einzelgänger haben keine Chance. Single-Bars können Sie hier mit der Lupe suchen. Praktisch gleich null.«
Jeffrey nickte wieder, diesmal allerdings, weil ihm etwas eingefallen war. Er machte schon den Mund auf, biss sich dann aber auf die Lippen und beschloss, den Gedanken für sich zu behalten. Er dachte: Es gibt eine Menge Dinge, die ich noch nicht weiß, aber einiges wird mir allmählich klar.
Als der Detective aufs Gas trat, lehnte er sich zurück. Das Vorgebirge schien jetzt schon deutlich näher; grün und braun erhob es sich über die flache Ebene und wirkte ein wenig dunkler als der Rest der Welt. Zuerst glaubte Jeffrey, die Berge seien nicht mehr weit. Im Westen, fiel ihm allerdings ein, täuscht man sich leicht hinsichtlich der Entfernungen. Meist sind die Dinge weiter weg, als man denkt. Dasselbe, musste er denken, gilt, wenn man einen Mord untersucht.
Am frühen Nachmittag erreichten sie die Gegend, in der die Leiche Nummer drei gefunden worden war. Seit mehr als einer Stunde waren sie an keiner bewohnten Gegend mehr vorbeigekommen, und die Highway-Schilder warnten sie, dass es keine hundert Meilen mehr von der neu gezogenen Grenze nach Südoregon waren. Es war ein rauher, dichtbewaldeter Landstrich und geradezu unheimlich still. Nur wenige Fahrzeuge kreuzten ihren Weg. Clayton beschlich das Gefühl, dass es sie an einen der unwirtlicheren Orte der Welt verschlagen hatte, einen Ort der Stille und Einsamkeit. Es gab hier nur wenig Bautätigkeit, eine Leere, die nicht leicht zu füllen sein würde. Die Berge, denen sie sich näherten, wirkten unzugänglich, granitgrau und schroff, mit dauerhaftem Schnee auf den Gipfeln.
»Hat nicht viel zu bieten, diese Gegend«, meinte Clayton.
»Wilde Natur«, pflichtete Martin bei. »Nicht für immer natürlich, aber bis jetzt schon.« Er legte eine Pause ein, dann fügte er hinzu: »Es gibt ein paar psychologische Studien und einige noch nicht ganz ausgewertete Befragungen, wonach die Menschen sich in der wilden Natur durchaus wohl fühlen und sie begrüßen, solange sich ihre Ausdehnung in Grenzen hält. Wir erklären bestimmte Gegenden zu staatlich geschützten Wäldern und Campingplätzen und überlassen sie dann mehr oder weniger sich selbst. Macht die Naturfreaks glücklich. Die Baugebiete rücken im Lauf der Zeit immer näher heran. Das wird hier auch passieren. In fünf Jahren. Vielleicht auch zehn.« Er machte eine ausladende Bewegung mit dem rechten Arm. »Da vorne beginnt der Holzfällerweg. Nur dass da natürlich nix mehr abgeholzt wird. Die Schlacht haben die Grünen gewonnen. Allerdings hält der Staat die Straße für Camper in Schuss. Tolle Gegend zum Angeln und Jagen hier oben. Und in annehmbarer Entfernung. Drei StundenFahrt von New Washington. Noch weniger von New Boston und New Denver aus. Hier soll eine völlig neue Geschäftsidee umgesetzt werden. Wie man hört, will man hier draußen rustikale Hütten bauen und Läden für Jagdbedarf und alles, was man zum Fliegenfischen braucht. Offenbar kann man eine Menge Geld verdienen, wenn man die Natur ein bisschen durchorganisiert.«
»So wurde sie gefunden, oder? Von zwei Anglern?«
Der Detective nickte. »Zwei Versicherungsmakler, die sich einen Tag freigenommen hatten, um wilde Regenbogenforellen zu angeln. Haben mehr gefunden, als sie dachten.«
Sie verließen den Highway, und plötzlich hüpfte und holperte der Wagen wie ein kleines Boot in einer kleinen Bucht mit Wellengang. Hinter ihnen wirbelte eine Staubwolke auf, und Steine prasselten wie Schüsse gegen den Unterboden des Autos. Vom Schütteln und Schaukeln wurden die Männer schweigsam. So fuhren sie vielleicht eine Viertelstunde weiter.
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