Das Rätsel
Hause; vielleicht ein bisschen schneller als sonst, da sogar hier die Nacht ein wenig beängstigend sein mochte und sie – selbst wenn sie glaubte, keinen Grund zur Sorge zu haben – immerhin alleine war. Sie lief zügig und drückte sich, während sie auf das leise Klatschen ihrer Turnschuhe auf dem Bürgersteig lauschte, ihre Schulbücher fest an die Brust, wie ein Porträt von der Hand Norman Rockwells. Und was dann? Ein Wagen, der sich ihr ohne Licht langsam von hinten näherte? Eine Stimme aus einem der schattigen Winkel? Lauerte er ihr wie ein nachtaktives Raubtier auf?
Diese Frage konnte er beantworten: Ja.
Clayton notierte im Kopf: Der Überfall musste schnell vor sich gegangen sein. Unerwartet und geräuschlos. Vollkommen überraschend, denn ein Schrei hätte alles verdorben. Wie also konnte er das angestellt haben?
War die Nacht einfach perfekt zum Jagen gewesen? War Nummer drei zufällig oder durch die Macht des Schicksals zur falschen Zeit am falschen Ort? Oder war sie das Opfer, das er sich schon vorher ausgesucht und ausgekundschaftet hatte? Dann hätte er nur noch geduldig auf diese Nacht, die ideale Gelegenheit warten müssen.
Clayton nickte. Ein interessanter Unterschied. Der eine Typus eines Jägers schleicht heimlich durch den Wald und sucht. Der andere geht in Deckung und lauert seinem Opfer auf, vondem er weiß, dass es vorbeikommen muss. Finde die Antwort!
Bei gewaltsamen Todesfällen gibt es immer eine Verkettung von Ursache und Wirkung. Eine Agenda. Bestimmte Regeln, die bestimmte Reaktionen auslösen, die sich alle zusammen wie in einer teuflischen mathematischen Gleichung zu Mord addieren.
Was war es diesmal? Jeffrey Clayton schwirrte der Kopf vor Fragen, und nicht auf alle wollte er wirklich eine Antwort wissen.
Sie hatten das Ende des Blocks erreicht und waren in eine zweite Wohnstraße eingebogen, die nach etwa einer halben Meile als Sackgasse endete. Während der Detective um die Bepflanzung des kleinen Kreisels fuhr, deutete er auf ein Haus, das ein wenig weiter zurückgesetzt war als die meisten anderen. Das nächste Haus in dieser Sackgasse stand außerdem ein Stück weiter entfernt, und seine Einfahrt war vom Wendekreis durch eine dicht gewachsene Hecke getrennt. Ein drittes Haus hinter der Grenzlinie lag ebenfalls Richtung Straße statt Kreisel, am oberen Ende einer kleinen Böschung, hinter zwei großen Fichten.
»Halten Sie an«, verlangte Clayton abrupt.
Martin sah ihn verwundert an, dann trat er auf die Bremse.
Clayton stieg aus und lief ein paar Schritte, um sich jedes Haus anzusehen und die Entfernungen abzuschätzen.
Der Detective kurbelte sein Fenster herunter. »Was ist?«, fragte er.
»Genau hier«, erklärte Clayton. Er spürte, wie es ihm feuchtkalt den Rücken hinunterlief.
»Hier?«
»Hier hat er gewartet.«
»Woher wissen Sie das?«, wollte Martin wissen.
Clayton deutete kurz auf die drei Häuser. »Ist nicht einsehbar, von keinem der drei Häuser. Es ist wie ein blinder Fleck. Keine Straßenlaterne. Wagen ohne Licht, nach Einbruch der Dunkelheit. Einfach nur parken und warten.«
Der Detective stieg ebenfalls aus und sah sich um. Er lief ein paar Schritte, machte kehrt, starrte wieder auf die Stelle, an der Clayton wartete, und kam zurück. Er runzelte die Stirn, sah sich noch einmal die Winkel an, welche die Häuser zueinander bildeten, und verlängerte im Kopf die Linien ihrer Seiten wände. Wenig später nickte er und pfiff durch die Zähne.
»Stimmt wahrscheinlich, Professor. Nicht schlecht, wirklich nicht schlecht. Diese Häuser sind von hier aus alle verdeckt. Gerade mal dreißig Meter weiter die Straße entlang, und das Mädchen wäre auf dem Bürgersteig von beiden Seiten aus zu sehen gewesen. Und außerdem näher an den Häusern, so dass Schreie leichter zu hören gewesen wären. Falls sie geschrien hat. Falls sie schreien konnte.« Der Detective schwieg und ließ den Blick erneut über die Umgebung schweifen. »Nein, Sie haben vermutlich recht, Professor. Weiß auch nicht, wieso ich das nicht selbst gesehen habe. Kompliment.«
»Hat es nach ihrem Verschwinden eine Durchsuchung gegeben? Ich meine, hier in der näheren Umgebung?«
»Natürlich. Aber Sie müssen wissen, erst als ich ihre Leiche sah, habe ich begriffen, womit wir es zu tun haben. Und bis es so weit war …«
Er sprach den Satz nicht zu Ende.
Clayton nickte und stieg wieder ein. Er spähte noch einmal in alle Richtungen und versuchte, den Ansturm von Fragen in den Griff zu
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