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Das Rätsel

Titel: Das Rätsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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die dort noch viel angeln werden.«
    Jeffrey senkte den Blick und stellte fest, dass an der Stelle, an der die Leiche entdeckt worden war, der Fels ganz nahe ans Ufer reichte und in einem Kiesbett ruhte, über dem das seichte Wasser nur dreißig Zentimeter tief war. Der Brocken ragte über einen Tümpel, an dessen Kopfende zwei größere Felsen die Wucht des brausenden Wassers hemmten und den wilderen Strom ans andere Ufer drängten, so dass das Wasser hinter der Steinplatte langsamer floss.
    Er hatte nicht viel Ahnung vom Süßwasserfischen, konnte sich aber gut denken, dass der Fels ein beliebtes Anglerziel war. Von seinem hinteren Rand aus konnte man die Rute leicht über den Tümpel auswerfen. Dem Mann, der die Leiche an dieser Stelle abgelegt hatte, musste das aufgefallen sein.
    »Als Sie die Umgebung untersucht haben …«
    »Alles felsig. Fels und Wasser. Keine Fußabdrücke. Außerdem hatte es in der Nacht davor ein bisschen geregnet. Kein einziges Faserstück, das in irgendwelchen Dornen hängen geblieben wäre. Wir haben alles durchforstet, bis zum Parkplatz runter, buchstäblich durchkämmt. Auch Reifenspuren Fehlanzeige. Wir haben nichts weiter als eine Leiche, genau hier, als wäre sie vom Himmel gefallen.«
    Martin starrte über den Fluss zu der Stelle. »Ich gehörte zu dem ersten Team, das hier eintraf, deshalb weiß ich mit Sicherheit, dass der Fundort unberührt war.«
    Er schüttelte den Kopf. Seine Stimme war flach und ausdruckslos.
    »Schon mal was gesehen, das Sie an einen Alptraum erinnert? Nicht irgendeinen Traum, den Sie mal hatten, oder eine Fantasievorstellung. Nicht mal eine von diesen seltsamen Déjàvu-Situationen, die jeder von uns schon mal hatte. Nein, ich stand genau hier, und ich fühlte mich in einen früheren Albtraum zurückversetzt, von dem ich gehofft hatte, er wäre längst abgehakt. Ich sah ihre ausgebreiteten Arme und ihre Beine übereinander gelegt und kein Blut oder sonstige Anzeichen für einen Kampf. Im selben Moment, noch während ich Luft holte, wusste ich, dass wir da absolut nichts finden würden, das uns weiterhelfen konnte. Und als ich rüberging, wusste ich auch, dass ihr ein Finger fehlte … und genau da, Professor, genau in dem Moment wusste ich, wer das gewesen ist.«
    Die Stimme des Detective ging im Brausen der Wassermassen unter.
    Jeffrey traute seiner eigenen Stimme nicht und war klug genug, sich eine besserwisserische Antwort zu verkneifen. Er sah, wie Martin auf den flachen Felsen starrte, und er wusste, dass der Detective das Mädchen vor seinem geistigen Auge dort so deutlich liegen sah wie an dem Tag, als sie gefunden wurde.
    »Er wollte, dass sie gefunden wird«, sagte Clayton.
    »Der Gedanke kam mir auch«, erwiderte Martin langsam.
    »Aber wieso hier?«
    »Gute Frage. Er muss einen Grund gehabt haben.«
    »In der Wildnis, andererseits nicht wirklich verborgen. Hier draußen hätte er eine Stelle finden können, an der sie nie entdeckt worden wäre. Oder erst zu einem Zeitpunkt, an dem von ihr nur noch Skelettreste übrig geblieben wären. Gott, er hätte sie in den Fluss werfen können – aus forensischer Sicht wäre das noch plausibler gewesen –, wenn es ihm darum gegangenwäre, jede verräterische Beziehung zwischen ihm und seinem Opfer auszumerzen. Stattdessen hat er sie hierher geschleppt, eine ganz schöne Wuchterei, egal, wie stark er sein mag und wie klein sie war. Nur um uns ihre Leiche auf dem Silbertablett zu servieren.«
    »Vermutlich ist er um einiges stärker, als er äußerlich scheint«, überlegte Jeffrey. »Was hat sie gewogen – um die fünfundfünfzig Kilo?«
    »Sie war zart gebaut. Dünn und zart. Fünfundfünfzig ist eher zu hoch gegriffen.«
    Jeffrey dachte laut: »Er hat sie diesen Pfad entlang eine Meile weit getragen und sie dann dort abgelegt, weil er wollte, dass sie genau so gefunden würde. Er wollte sie nicht einfach nur loswerden. Das war eine Botschaft.«
    Martin nickte. »Den Eindruck hatte ich auch. Aber es wäre nicht allzu klug gewesen, das laut zu sagen. Politisch klug, meine ich.« Er verschränkte die Arme und starrte auf den flachen Fels mit den Wasserstrudeln an seinen Rändern.
    Jeffrey stimmte der Einschätzung des Detective zu. Ihm kam der Ausspruch eines berühmten Politikers in Massachusetts in den Sinn, wonach Politik immer eine lokale Angelegenheit ist, und er fragte sich, ob dasselbe wohl für Mord galt. Er fing an, den Fundort innerlich zu sondieren und zu speichern, zu addieren und zu

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