Das Rätsel
Der Wagen machte einen Satz nach vorne, und wenig später hielt der Detective hinter zwei weiß glänzenden Transportern, die jeweils nur mit dem Logo der Staatssicherheit gekennzeichnet waren. Jeffrey warf einen Blick auf die Lkw und erkannte sofort, worum es sich dabei handelte: zwei Teams der Spurensicherung. In einem Bundesstaat allerdings, in dem nach offizieller Lesart keine Verbrechen passierten, gaben sie sich natürlich nicht als solche zu erkennen.
Er musste schmunzeln. Ein bisschen scheinheilig, zweifellos, doch dafür hatte er Verständnis. Er war sich ziemlich sicher, dass es im Einundfünfzigsten Bundesstaat mehr davon gab, als er bis jetzt mitbekommen hatte. Er stieg aus. Die Nacht war ein wenig kalt, und er schlug den Kragen seiner Jacke hoch.
Ein weiterer Verkehrspolizist machte ihnen Zeichen. »Da lang, vierhundert Meter weiter«, erklärte er und deutete auf die Stelle mit den Lichtern.
Martin marschierte zielstrebig los, und Clayton ging in Laufschritt über, um mitzuhalten.
Die Reihen starker Bogenlampen schnitten einen Lichtschacht in die Dunkelheit. Jeffrey sah augenblicklich, dass innerhalb des ausgeleuchteten Terrains verschiedene Teams arbeiteten. Er zählte allein drei Gruppen, die den Sand- und Felsboden nach Fasern, Fußabdrücken, Reifenspuren oder anderen Indizien absuchten, um die Fährte des Mannes aufzunehmen, der vor ihnen hier lang gekommen war. Ein Weilchen sah er ihnen zu wie ein Trainer, der mögliche Neuzugänge für seine Mannschaft taxierte. Sie waren zu schnell. Es fehlte ihnen an Geduld. Und vermutlich auch an Erfahrung. Falls es etwas gab, das man leicht übersehen konnte, dann würde es ihnen entgehen. Er drehte sich um und entdeckte ein weiteres Team, das sich um die Leiche scharte und ihm zunächst den Blick darauf verstellte. Diese Gruppe drängte sich auf einem kleinen, staubigen Plateau. Ein Mann, der trotz der frischen Luft nur ein Hemd trug, beugte sich über das Mädchen, und seine weißen Latexhandschuhe glühten auf wie Geisterhände, wenn sich das Licht der Scheinwerfer darin fing. Jeffrey ging davon aus, dass dies der Gerichtsmediziner war.
Er schloss sich Detective Martin an, der das nähere Umfeld inspizierte. Ein einziger bitterer Gedanke blitzte in ihm auf: Ich hätte damit rechnen müssen. Vielleicht
habe
ich sogar damit gerechnet.
Im Laufen schüttelte er den Kopf. Sie werden nichts finden, sagte er stumm.
Die Agenten der Staatssicherheit machten Platz, um die beiden Männer durchzulassen, und Clayton erhaschte im selben Moment den ersten Blick auf die Leiche, als dem Detective eine kurze, kernige Obszönität entfuhr.
Das junge Mädchen war nackt. Sie war auf einer weitläufigen,schottergedeckten Fläche zurückgelassen worden. Sie lag mit dem Gesicht nach unten, die Arme vor sich ausgestreckt, die Knie unter dem Körper angewinkelt. Ihre Körperstellung erinnerte Jeffrey daran, wie Muslime sich zu Boden werfen, wenn sie gen Mekka beten. Ihm fiel auf, dass sie tatsächlich nach Osten ausgerichtet lag.
Er schaute genauer hin und sah, dass ihr auf dem entblößten Rücken etwas in die Haut eingeritzt war. Post mortem, erkannte er; rund um die Schnitte war kein Blut. Überhaupt gab es wenig Blut, lediglich einen kleinen dunklen Fleck, der sich unter der Brust des Mädchens gesammelt hatte, ein Todesrückstand und, wie er wusste, lediglich der letzte Ausfluss ihrer Schändung. Sie war an einem anderen Ort getötet und dann hierher geschafft worden.
Er warf einen Blick auf ihre Hände und sah, dass ihr der Zeigefinger der linken Hand fehlte – nicht der rechten wie bei den anderen Opfern, sondern der linken. Unwillkürlich zog er die Augenbrauen hoch. Er konnte nicht auf Anhieb sagen, welcher Schaden der Leiche sonst noch zugefügt worden war. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen; es war unter ihren ausgestreckten Armen in den Schotter gedrückt.
Unterwerfung, dachte er. Martin deutete auf den Rumpf des Mädchens und fragte einen der Forensiker: »Die Todesursache? Woran ist sie gestorben?«
Der Mann beugte sich herunter und zeigte auf eine kleine rote Stelle an der Schädelbasis, wo ihr langes, dunkelblondes Haar blutverfilzt war.
»Einschusswunde«, erklärte der Mann. »Werden sehen, wo sie auf der anderen Seite rausgekommen ist. Sieht ziemlich groß aus. Jedenfalls groß genug. Wahrscheinlich neun Millimeter. Vielleicht Kaliber .357. Sobald wir sie umdrehen, wissen wir mehr. Vielleicht steckt die Kugel noch.«
Jeffrey starrte erneut auf die
Weitere Kostenlose Bücher