Das Rätsel
Minuten lang stehen und betrachtete die leere Hälfte der Tafel. Die Rubrik
Falls uns der Mörder nicht bekannt ist
war ausgewischt.
Langsam und behutsam, als tappte er durch einen dunklen Raum und versuchte, nicht zu stolpern, näherte er sich der Tafel. Er nahm ein Stück Kreide zur Hand und kämpfte gegen den Tumult in seinem Kopf an, während er sorgfältig jedes Wort ersetzte, das gelöscht worden war, und dabei nur einen klaren Gedanken fassen konnte: Außer dir und mir muss niemand erfahren, dass du hier gewesen bist.
10. KAPITEL
Diana Claytons Angst
Diana Clayton betrachtete ihre Tochter und dachte, dass es allen Grund zur Sorge gab, dass es zugleich aber wichtig war, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr das, was passiert war, ihre eigenen Ängste schürte.
Sie saß unerschütterlich in einer Ecke des abgewetzten, weißen Baumwollsofas in ihrem kleinen, entschieden zu voll gestopften Wohnzimmer und trank langsam und bedächtig ein kaltes Bier. Sie ließ die Flasche sinken, stellte sie auf den Oberschenkel und strich immer wieder mit den Fingern den Flaschenhals hoch und runter – eine unbewusste Bewegung, die man bei einer jüngeren Frau für sexuelle Signale hätte halten können, bei ihr jedoch nur die angestaute Nervosität zum Ausdruck brachte.
»Wir können letztlich nicht sagen, ob es eine Verbindung gibt«, stellte sie brüsk fest. »Es kann irgendein Fremder gewesen sein.«
Susan stand im Zimmer. Sie war in einen Sessel gesunken, gleich wieder aufgesprungen und zu einem hölzernen Schaukelstuhl hinübergegangen; da sie sich auch dort nicht wohl fühlte, hatte sie sich wieder erhoben und war im Zimmer auf und ab gelaufen – eine unwillige Bewegung, die an einen großen Fisch erinnerte, der an der gespannten Angelleine zerrte.
»Aber klar doch«, meinte sie in einer Aufwallung von Sarkasmusund in einem Ton, der darauf zielte, ihre Mutter aus der Fassung zu bringen, jedoch nicht, sie zu verletzen. »Es könnte jeder gewesen sein. Irgend so ein alter Knabe, der mir und diesem armen Arschloch rein zufällig in die Damentoilette gefolgt ist und ebenso zufällig ein praktisches Jagdmesser in der Hosentasche hatte. Er erfasst die Situation und beschließt, dem dummen Hund damit die Kehle aufzuschlitzen, was er mit einem gekonnten und beherzten Schnitt dann auch tut. Nachdem ihm nun klar ist, dass er mich vor einem Schicksal schlimmer als der Tod bewahrt hat, zieht er sich vornehm zurück, weil er sich denken kann, dass die Situation nicht eben ideal ist, um sich ausgiebig miteinander bekannt zu machen, und gepflegte Umgangsformen ohnehin nicht seine Stärke sind.«
Sie funkelte ihre Mutter an. »Komm schon, Mutter. Das kann nur er gewesen sein.« Sie ließ langsam die Luft zwischen den Lippen entweichen. »Wer zum Teufel
er
auch sein mag.«
Die Tochter hielt den Zettel mit der kryptischen Botschaft des Mannes hoch. »
Ich bin immer bei dir gewesen
«, las sie verdrießlich. »Dass er heute Abend da war, kam gelegen.«
Diana hatte das Gefühl, als klirrten die Worte ihrer Tochter in dem kleinen Raum. »Du warst bewaffnet«, rief sie ihr in Erinnerung. »Was wäre passiert?«
»Dieses betrunkene Schwein war kurz davor, die verdammte Tür einzutreten, und ich war kurz davor, ihm zwischen die Augen oder die Beine zu schießen, was immer unter den gegebenen Umständen passender erschienen wäre.«
Susan murmelte leise ein, zwei Obszönitäten, dann trat sie ans Fenster und starrte in die Nacht. Sie konnte kaum etwas sehen, und so legte sie die Hände an die Schläfen, um das Licht aus dem Wohnzimmer abzuschirmen, und drückte das Gesicht an die Scheibe. Sie sah, wie die Dunkelheit von demheftigen Gewitter glitzerte und dampfte, das wenige Stunden zuvor über der Gegend niedergegangen war. Es hatte lediglich ein paar abgerissene Palmwedel auf der Straße hinterlassen sowie größere Pfützen in Schlaglöchern und Bodenwellen sowie eine drückende Schwüle, die aus dem Unwetter nur noch gestärkt hervorgegangen war. Sie starrte in die Nacht und war sich nicht sicher, ob sie lieber die Leere sah, die ihre einsame Lage unterstrich, oder den Schatten des Mannes, der irgendwo unmittelbar hinter ihrem Garten lauerte, was sie für wahrscheinlich hielt.
Sie sah niemanden, was sie von nichts überzeugte. Nach einer Weile griff sie nach der Jalousie und zog sie mit lautem Klappern herunter.
»Was mir wirklich auf den Geist gegangen ist«, sagte sie bedächtig und drehte sich wieder zu ihrer Mutter um,
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