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Das Rätsel

Titel: Das Rätsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Tochter an diesem Abend geworden war. Er war langsam und heimtückisch geduldig. Er verursachte vielleicht genauso viel Schmerzen wie das Messer des Mannes, doch er ließ sich dabei Zeit. Er hatte nichts Eiliges oder Abruptes an sich, doch am Ende würde er sich als genauso tödlich erweisen wie eine Klinge oder eine Patrone.
    Ihr war ein wenig schwindelig, doch sie kämpfte mit ein paar tiefen Atemzügen dagegen an wie ein Taucher vor dem Sprung ins Wasser.
    »Also gut«, meinte sie. »Was schließt du aus der Brieftasche, die du gesehen hast?«
    Susan zuckte die Achseln, doch bevor sie etwas erwidern konnte, fuhr ihre Mutter fort: »Dein Bruder würde Folgendes sagen: Wir leben in einer gewalttätigen Welt, in der wenig Zeit bleibt und wenig Interesse besteht, ein Verbrechen
tatsächlich aufzuklären
. Die Polizei versucht, für Ordnung zu sorgen, was sie mit einiger Rücksichtslosigkeit tut. Und wenn sie es mit einem Verbrechen zu tun hat, auf das es eine einfache Antwort gibt, dann wird sie versuchen, diese Antwort zu geben, denn das hilft, die Routine des Lebens aufrechtzuerhalten, jedenfalls so gut es geht. Doch wenn das Opfer nicht gerade eine bedeutende Persönlichkeit ist, dann wird es einfach ignoriert und als ein weiteres Beispiel für die gefährlichen Zeiten, in denen wir leben, abgehakt. Und ein halb betrunkener, geiler Vertreter des mittleren Managements klingt mir nicht gerade nach einem Fall, der politisch für Wirbel sorgen könnte. Aber nehmen wir trotzdem mal an, irgendein Detective würde sich für den Fall interessieren, was bekommt er zu sehen? Eine Brieftasche und eine offene Hose. Ein Raubmord. Bingo. Und er wird sich denken, dass in dieser nicht eben erstklassigen Bar ein paar Mädchen anschaffen waren und dass es eine von denen war, vielleicht auch ihr Zuhälter. Undbis dieser überarbeitete Detective spitzkriegt, dass dieser scheinbar so wasserdichte Fall in Wahrheit ganz anders liegt, ist alles viel zu lange her, und er wird wenig Neigung verspüren, ihn unter seinem Stapel weiterer hundert Fälle wieder vorzukramen. Besonders, wenn er feststellt, dass es in dieser Bar keine Überwachungskameras gab, die den Publikumsverkehr dokumentiert. Das alles, würde dein Bruder dir sagen, hat der Mörder erreicht, indem er sich einfach das Bargeld des Opfers genommen und die Brieftasche offen liegen gelassen hat. So einfach ist das.«
    Susan hörte ihr zu und zögerte mit ihrer Antwort. »Ich könnte immer noch freiwillig zur Polizei gehen.«
    Diana schüttelte energisch den Kopf. »Und welche Hilfe erwartest du dir davon, wenn du ihnen im selben Moment eine wunderbare Verdächtige auf dem Tablett servierst, nämlich dich selbst? Denn die werden dir mit Sicherheit nicht abkaufen, dass jemand Unbekanntes dich bewacht. Noch dazu heimlich. Jemand, der kein Gesicht und keinen Namen hat und über den du nicht das Geringste weißt außer ein paar kryptischen Botschaften, die er dir vor dem Haus hinterlässt, und der zufälligerweise auch noch die Fähigkeiten und Kenntnisse besitzt, um jemanden ins Jenseits zu befördern, der dir zu nahe tritt. So etwas wie ein selten böser Schutzengel vielleicht.«
    Diana verstummte.
    Wieder drehte sich ihr der Kopf, und der Schmerz wallte ihr durch den Körper.
    Auf dem Couchtisch vor ihr stand ein Pillendöschen. Sie griff langsam und vorsichtig danach und schüttete sich zwei Tabletten auf die Hand. Sie schluckte sie und spülte sie mit dem letzten warmen Bier herunter, das in der Flasche übrig war. Doch was ihr tatsächlich Qualen bereitete, war weniger ihreKrankheit, die sich so plötzlich meldete, sondern die Worte, die sie eben selbst ausgesprochen hatte.
So etwas wie ein selten böser Schutzengel vielleicht
.
    Denn ihr fiel nur eine Person ein, auf die diese Beschreibung passte.
    Aber er ist tot, gottverdammt!, brüllte sie sich innerlich an. Er ist vor Jahren gestorben! Wir sind ihn los!
    Nichts davon sprach sie aus. Stattdessen ließ sie diese Angst in ihrem Innern bohren – nicht weit von der Stelle, an der die Schmerzen zustachen.
     
    An diesem Abend aßen sie fast schweigend, ohne die Botschaften oder den Mord noch einmal zu erwähnen, geschweige denn zu diskutieren, was sie deswegen unternehmen würden. Anschließend zogen sich beide Frauen in ihre kleinen Zimmer zurück. Susan stand am Fußende ihres Bettes und wusste, dass sie zugleich erschöpft und aufgewühlt war. Obwohl sie dringend Schlaf benötigte, würde sie keinen bekommen. Sie zuckte die

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