Das rätselhafte Iksilon
vier Kapuzengestalten vorbeikam, stellte ihm ein anderer von ihnen ein Bein. Mim fiel der Länge nach hin. Aber der Kübel blieb stehen. Wieder lachten alle. Am lautesten lachte der, der ihm das Bein gestellt hatte. Er lachte und hustete zugleich. Mim begann zu weinen. Ich wollte ihm helfen, aber ich wusste nicht, wie. Doch dann hatte ich eine Idee. Mit großer Mühe nahm ich den Kübel, unsichtbar wie ich war, und schüttete dem Hustenden das Wasser ins Gesicht. Eigentlich wollte ich nur ihn treffen, aber der Kübel war so schwer, dass er mir aus den Händen rutschte, und so traf ich alle vier. Sie fingen alle an zu schimpfen und zu schreien. Am lautesten schrie die Frau mit den roten Lippen. Der vierte, der dort saß und mit vollem Mund aß, fing an zu rufen: »Ein Wunder, ein Wunder! Der Kübel hat sich von alleine bewegt! Wie konnte das geschehen?«
»Das werdet ihr nie erfahren«, dachte ich. »Denn ihr wisst ja nicht, dass ich unsichtbar bin.« Das war aber noch lange nicht alles. Ich schüttete noch jedem sein Essen vom Teller in seinen Schoß. Die Gäste verließen eilig die Kneipe. Manche durch die Türen, manche durch die Fenster. Mim nutzte ebenfalls die Gelegenheit. Er rettete sich durch die Hintertür und versteckte sich hinter dem Brunnen. Ich folgte ihm, und als ich sicher war, dass mich niemand entdecken konnte, machte ich mich sichtbar und fragte: »Bist du der Malerlehrling Mim?«
»ja«, antwortete er. »Und wer bist du?«
»Das ist eine ziemlich lange Geschichte. Ich komme aus einer anderen Zeit.«
»Aus einer anderen Zeit. Ich verstehe nicht, was du mir da erzählst.«
»Das musst du auch nicht. Ich habe nicht viel Zeit, dir alles genau zu erklären. Der Sand in der Uhr rinnt unaufhörlich weiter. Ich bin hier, weil ich den Teil des zerrissenen Buches brauche, der bei dir ist.«
»Lass mich in Ruhe. Ich habe kein Buch.«
»Oh doch, du hast eines! Hast du vielleicht schon in dem Buch gelesen?«
»Nein! Ich kann überhaupt nicht schreiben und lesen. Ich kann nur malen.«
»Schon gut. Und jetzt gib mir sofort das Buch!«
»Das Buch wirst du nie kriegen!«, rief er, sprang auf mich zu und wir begannen zu raufen. Ich weiß nicht, wie lange der Ringkampf gedauert hat. Aber bald war klar, dass keiner von uns gewinnen konnte. Der Kampf war unentschieden. Wir saßen beide am Boden und hielten einander an den Hemden fest. Einige Zeit starrten wir uns an, und dann begannen wir zu lachen.
»Wir sind ganz schön blöd. Statt gegeneinander zu kämpfen, sollten wir Freunde sein«, sagte ich.
»Ich habe gedacht«, lächelte Mim, »dass du ein Freund dieser Furcht einflößenden Vier bist.«
»Ich? Du dachtest, dass ich ein Freund von diesen vier doofen Kapuzengestalten bin? Blödsinn! Ich war der, der sie alle nass gemacht hat.«
»Warst du das wirklich?«
»Wer sonst?«
»Dann werde ich dir das Buch geben. Vor ein paar Tagen hat mir eine rothaarige Frau dieses Buch gebracht. Sie sagte, ich dürfe es nur dem geben, der in der Kneipe Regen macht. Nach dem Wasserbad, das du in der Kneipe veranstaltet hast, bin ich ganz sicher, dass du derjenige bist, dem allein ich das Buch geben darf«, meinte Mim und gab mir etwas, das in Wildleder eingewickelt war. »Jetzt hast du das Buch«, sagte Mim traurig. »Musst du wirklich schon zurück gehen?«
»Ja, es ist Zeit, in meine Zeit zurückzukehren.«
»Bleib doch noch! Du bist mein einziger Freund.«
»Oh weh! Hast du keine anderen Freunde?«
»Nein! Ich hatte eine Freundin. Wenn du noch ein wenig Zeit hast, würde ich dir gerne die Geschichte von der dicken Martina erzählen.«
Die dicke Martina
Mim lehnte sich zurück und begann leise zu erzählen.
»Ich hatte eine gute Freundin. Alle nannten sie die ›dicke Martina‹. Ich aber fand sie nicht dick, sondern sehr hübsch. Leider sind wir keine Freunde mehr. Sie mag mich nicht mehr. Ich denke, dass sie mich hasst.«
»Warum? Hast du mit ihr gestritten?«
»Nein, ich habe sie ausgelacht. Aber das war alles nicht meine Schuld. Es war so: Einmal war ich in die Kneipe gegangen, um dort zu fragen, ob ich das Wirtshausschild fertig malen darf. Der Maler, der begonnen hatte das Schild zu malen, hatte nur drei Beine des Wolfes gemalt und war dann verschwunden. Ich wollte nun das vierte Bein fertig malen. Wie immer warf mir die Wirtin vor, dass ich noch zu wenig Wasser herbeigeschafft hätte. Sie meinte, dass ich noch mindestens ein Jahr Wasser tragen müsste. Als ich Einwände dagegen machen
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