Das Regenbogenschwert: Die Legende von Hawk und Fisher (Dämonenkrieg) (German Edition)
plötzlich war alles anders. Bei den unüberschaubaren Fluren und Korridoren der Burg konnte es natürlich nicht ausbleiben, dass manche davon im Lauf der Zeit nicht mehr benutzt wurden und in Vergessenheit gerieten. Julias Neugier erwachte, als sie merkte, dass den Gang, der nun vor ihnen lag, seit Jahren keiner mehr betreten hatte. Die Holzvertäfelung wirkte matt und schmutzig. Spinnweben hüllten die leeren Brennschalen und Fackelhalterungen ein. Der Seneschall ließ die Gruppe anhalten, während zwei Männer die Laternen anzündeten, die sie mitgebracht hatten. Dann drang er an der Spitze des Suchtrupps in den Gang vor. Julia zog ihren Dolch und hielt ihn stoßbereit. Das Dämmerlicht und die Stille weckten in ihr unbehagliche Erinnerungen an den Düsterwald.
Nach einer Weile teilte sich der Gang, und der Seneschall ließ die Gruppe wieder anhalten, während er mehrere Pläne zu Rate zog. Julia trat ein paar Schritte vor und spähte ins Dunkel. Der linke Gang schien in weitem Bogen in die Richtung zurückzuführen, aus der sie gekommen waren, während der rechte in eine Finsternis eintauchte, die ihr ein Kribbeln im Nacken verursachte. Julia schüttelte den Kopf, um das undeutliche Angstgefühl zu vertreiben, und zwang sich, tief durchzuatmen. Der Düsterwald lag Meilen entfernt. Ein wenig Dunkel machte ihr nichts aus. Julia umklammerte den Dolch, als könne er ihr Trost bieten, und lächelte grimmig. Obwohl inzwischen so viel Zeit vergangen war, ließ sie in ihrem Zimmer immer noch eine Kerze brennen, wenn sie sich schlafen legte. Die lange Nacht hatte nicht nur bei Rupert Spuren hinterlassen. Ihr Herz raste plötzlich, als sie merkte, dass jemand dicht neben ihr stand. Sie erkannte den Seneschall und beruhigte sich.
„Links oder rechts?“, fragte sie und merkte erleichtert, dass ihre Stimme ruhig klang.
„Ich schwanke noch“, entgegnete der Seneschall gereizt. „Allen Plänen zufolge müssten wir uns nach links wenden, aber dagegen sträubt sich mein Gefühl mit aller Macht. Ach, zum Henker mit den Plänen! Wir gehen rechts. Mitten ins Dunkel.“
„Das hätte ich mir denken können“, maulte Julia.
„Was? Was war das? Ich wünschte, Ihr würdet nicht so nuscheln, Prinzessin, das ist eine dumme Angewohnheit.“
Julia zuckte nur die Achseln. Sie hatte es aufgegeben, die gehässigen Bemerkungen des Seneschalls persönlich zu nehmen. Sein Zorn war offenkundig gegen die Welt und ihre Unzulänglichkeiten gerichtet und ergoss sich eher zufällig über Menschen, die ihm gerade in den Weg kamen.
„Weshalb suchen wir überhaupt nach dem Südflügel, Seneschall?“
„Weil er seit zweiunddreißig Jahren verschwunden ist! Verschwunden wie in vermisst, nicht mehr aufzufinden, den Blicken der Burgbewohner entzogen, ohne Erlaubnis untergetaucht! Deshalb. Was sollen wir sonst tun? Eine Feier zu seinem zweiunddreißigsten Abhandenkommen veranstalten?“
„Natürlich nicht, Seneschall“, sagte Julia geduldig. „Ich meine, warum suchen wir ihn ausgerechnet jetzt? Wie es scheint, ist man all die Jahre auch ohne ihn ausgekommen. Warum nimmt man ihn plötzlich so wichtig?“
„Ah“, sagt der Seneschall und warf der Prinzessin einen boshaften Blick zu. „Ich gehe davon aus, dass Ihr mich weiter belästigen werdet, bis Eure Neugier befriedigt ist?“
„Auf Anhieb richtig“, bestätigte Julia.
Der Seneschall seufzte, warf einen verstohlenen Blick auf seine bewaffneten Begleiter und flüsterte Julia dann ins Ohr: „Es ist kein Geheimnis, aber mir wäre es lieber, wenn die Leute hier erst ganz zuletzt erfahren, wonach wir eigentlich Ausschau halten. Sie sind König John zwar treu ergeben … aber wozu ein Risiko eingehen?“
„Weiter“, sagte Julia ungeduldig. Die seltsame Anspannung des Seneschalls hatte ihre Neugier geweckt.
„Wir suchen den Südflügel“, murmelte der Seneschall, „weil sich dort das alte Arsenal befindet.“
Julia sah ihn verständnislos an. „Hat das eine tiefere Bedeutung, die mir entgeht?“
„Der König will Curtana ziehen“, erklärte der Seneschall, „und dieses Schwert befindet sich im alten Arsenal.“
„Kapiert.“
„Das freut mich“, sagte der Seneschall mit einer Spur von Spott. „Möchtet Ihr sonst noch etwas wissen?“
„Ja“, antwortete Julia trocken. „Wenn dieses Zauberschwert so mächtig ist, wie alle behaupten, warum hat sich dann im Lauf der Jahre niemand die Mühe gemacht, das alte Arsenal wiederzufinden und sich das Ding unter den Nagel zu
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