Das Regenbogenschwert: Die Legende von Hawk und Fisher (Dämonenkrieg) (German Edition)
gutes Stück älter. Das harte Gesicht umrahmte kurzgeschorenes, weißblondes Haar, und in seinen Augen lag eine lauernde Wachsamkeit, die Julia beruhigend fand. Was immer geschah, diese Wache konnte nichts erschrecken.
„Ich heiße Bodeen“, sagte er plötzlich. „Falls Ihr das wissen wollt.“
„Tut mir leid, wenn ich Euch angestarrt habe“, sagte Julia.
„Das habt Ihr nicht“, versicherte er. „Aber mir entgeht wenig, auch keine versteckte Neugier.“
„Bleibt so aufmerksam“, sagte Julia. „Das hilft uns möglicherweise, dieses Abenteuer lebend zu überstehen.“
Sie lachten, aber es war ein Lachen, das eher angespannt als befreit klang. Plötzlich blieb der Seneschall stehen, spähte in einen Nebenkorridor und betrat ihn zögernd. Julia und Bodeen folgten ihm. Der Seneschall führte sie durch ein Labyrinth aus verwinkelten Gängen, gewundenen Treppen und spinnwebenverhangenen Türen und Öffnungen, bis die Prinzessin jeglichen Zeit- und Richtungssinn verloren hatte. Sie fühlte sich seltsam konfus, fast als stünde sie still, und alles ringsum wäre in Bewegung.
Bodeen tapste leise neben ihr her, stets auf der Hut vor möglichen Gefahren, fast wie eine Katze auf Beutezug.
Unter anderen Umständen hätte Julia sein Verhalten als störend empfunden, aber seit sie den Südflügel betreten hatten, wurde sie das Gefühl nicht los, jemand lauere im Dunkel jenseits des Laternenscheins und beobachte sie. So angestrengt sie in die Schwärze spähte, so abrupt sie sich auch umdrehte, nie sah sie jemanden, aber das Gefühl blieb und lastete auf ihrer Seele, bis sie am liebsten laut geschrien hätte. Sie umklammerte den Dolch, bis ihre Fingerknöchel schmerzten, und verwünschte insgeheim ihren Entschluss, sich an der Suche zu beteiligen. Verdrießlich starrte sie den gleichgültigen Rücken des Seneschalls an und konnte gerade noch verhindern, dass sie mit ihm zusammenstieß, als er wieder einmal unvermittelt stehen blieb. Er legte den Kopf in den Nacken und sog prüfend die Luft ein wie ein Hund, der nach einer unbestimmten Fährte schnüffelt, dann senkte er langsam den Kopf und drehte sich zu ihr um.
„Irgendetwas stimmt nicht“, sagte er ruhig.
„Wie meint Ihr das?“, fragte Julia, die nicht bereit war, ihre Ängste laut auszusprechen, um nicht lächerlich zu klingen.
„Ich bin nicht sicher.“ Der Seneschall ließ seine Blicke schweifen. Eine Gänsehaut über lief ihn.
„Welchen Zauber auch immer Grey damals erprobte, er muss verdammt stark gewesen sein. Stärker, als der Mann eingestehen wollte, und er ist bis heute nicht verflogen. Er hallt in Holz und Stein nach, zittert in der Luft.“
„Heißt das, wir sind in Gefahr?“, fragte Bodeen und hob das Schwert wie zum Angriff.
„Ja. Nein. Ich weiß nicht.“ Der Seneschall runzelte die Stirn und sah Bodeen und Julia ratlos an, als erwarte er von ihnen die Antwort. Dann drehte er sich brüsk um.
„Wir verschwenden Zeit. Die Schatzkammern sind nicht weit. Kommt!“ Er schien ein kurzes Zwiegespräch mit seinem sechsten Sinn zu halten, ehe er in einen Seitenkorridor abbog und zuversichtlich losmarschierte, ohne sich zu vergewissern, ob die Prinzessin und der Gardist ihm ins Dunkel folgten.
Die Stille belastete Julia mehr als alles andere, und das nicht nur, weil sie sich an den Düsterwald erinnert fühlte.
Die endlosen Gänge schienen jeden Laut zu schlucken, als wehre sich der Südflügel gegen jede Ruhestörung. Bodeen ließ den Blick konzentriert durchs Dunkel schweifen, musterte jede Tür und jeden Durchgang, fand aber keinen schlüssigen Hinweis, dass sie beobachtet oder verfolgt wurden, und doch war es gerade diese Lautlosigkeit, die Julia davon überzeugte, dass sie nicht allein waren. Alle Instinkte meldeten ihr, ganz in der Nähe drohe tödliche Gefahr, und tief in ihrem Innern wusste sie mit tödlicher Sicherheit, dass jenseits des Lichtkreises etwas Böses lauerte. Blinde Furcht stieg in ihr auf, aber sie verdrängte sie gewaltsam. Angst konnte sie haben, wenn sie Zeit dazu hatte.
Der Gang verengte sich plötzlich, und die Wände kamen bedrohlich auf sie zu. Die Laterne des Seneschalls warf einen gelblichen Schein auf verblichene Tapeten und die Bilder längst verstorbener Männer und Frauen. Nach ein paar Schritten blieb der Seneschall vor einer verschlossenen, mit Schnitzwerk reich verzierten Tür stehen und runzelte die Stirn. Plötzlich spürte Julia die Nähe einer geheimnisvollen, gefährlichen, entsetzlich
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