Das Regenbogenschwert: Die Legende von Hawk und Fisher (Dämonenkrieg) (German Edition)
vertrauten Macht. Sie warf Bodeen einen Blick zu, doch der wandte den Kopf nach hinten und spähte den Gang entlang, den sie eben hinter sich gelassen hatten. Er hielt sein Schwert kampfbereit in der Hand, schien aber nicht besonders beunruhigt. Julia blickte die verschlossene Tür an und konnte nicht verhindern, dass sie zu zittern begann. Die Befürchtung, hinter dieser Tür verberge sich etwas Schreckliches, überwältigte sie. Sie fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und hielt den Dolch mit der Spitze nach vorn.
„Alles in Ordnung?“, fragte Bodeen leise.
„Ja“, antwortete Julia mit gepresster Stimme. „Wenn man davon absieht, dass ich in diesem Gang ein ungutes Gefühl habe.“
Bodeen nickte, ohne zu lächeln. „Das ist nur das Dunkel. Lasst Euch davon nicht beunruhigen!“
„Es ist mehr als das! Hör t Ihr nie auf Eure Instinkte?“
„Ständig. Aber ich vertraue in erster Linie meinen Augen und Ohren, und bis jetzt lässt nichts den Schluss zu, dass sich in diesem gottverdammten Flügel außer uns und ein paar Spinnen noch jemand befindet.“
Julia schüttelte eigensinnig den Kopf. „Hier ist etwas, das mir Angst einflößt. Wir kommen ihm immer näher.“
„Wenn Ihr fertig seid“, meinte der Seneschall säuerlich, „kann ich Euch mitteilen, dass wir unser Ziel fast erreicht haben. Hinter dieser Tür befindet sich der Südturm, und dahinter liegt der Eingang zum Schatzhaus.“
Julia sah ihn ungläubig an. „Seid Ihr sicher?“
„Natürlich!“
„Warum spannt Ihr uns dann so lange auf die Folter?“
„Weil die Tür mir Rätsel aufgibt.“, raunzte der Seneschall. „Ich weiß, dass sie zum Südturm führt, aber … mir kommen immer wieder Zweifel.“
„Wollt Ihr damit sagen, wir haben uns verlaufen?“, fragte Julia, deren Mut sank.
„Natürlich nicht! Ich bin nur nicht sicher, wo wir sind.“
„Großartig“, brummte Bodeen.
Der Seneschall bedachte die Tür mit einem missvergnügten Blick und drückte dann vorsichtig die Klinke. Er sah rasch zu Julia und Bodeen und schob dann die Tür einen Spalt auf. Gleißendes Licht floss durch die Öffnung und verbannte das Dunkel. Julia und der Seneschall wichen zurück, verwirrt durch das plötzliche Tageslicht, und Bodeen trat mit raschen Schritten zwischen sie und die Tür. Er wartete einen Moment, bis sich seine Augen an das neue Licht gewöhnt hatten, und schob dann die Tür mit der Stiefelspitze auf. Sie schwang langsam nach innen, und Bodeen pfiff leise durch die Zähne, als Tageslicht in den Gang flutete.
„Seht Euch das an!“, sagte er langsam. „Ihr werdet es nicht glauben.“
Julia spähte argwöhnisch umher, ehe sie neben die beiden Männer trat. Das übermächtige Gefühl einer drohenden Gefahr war einer schwachen Beklemmung gewichen, aber den Verdacht, dass sie beobachtet wurden, wurde sie immer noch nicht los. „Nur die Nerven“, sagte sie sich verärgert und warf einen Blick durch die geöffnete Tür. Einen Augenblick lang blinzelte sie, geblendet von der plötzlichen Helligkeit, dann kam ihr zu Bewusstsein, dass sich vor ihr der Himmel ausbreitete. Wolken schwebten vorbei, weich und wattig, so nah, dass sie fast die Hand danach ausstrecken konnte. Sie sah nach oben und keuchte auf, als ihr Magen in die Tiefe zu sacken schien. Hoch über ihr, hundert Fuß oder mehr, war der Erdboden. Die Landschaft stand kopf! Julia schloss die Augen und wartete, bis sich ihr Magen beruhigt hatte, ehe sie erneut einen Blick nach draußen wagte. Sie hatte im Allgemeinen keine Höhenangst, aber dieses umgekehrte Panorama, das der natürlichen Ordnung der Dinge so lässig trotzte, machte ihr gewaltig zu schaffen.
„Interessant“, sagte sie schließlich und zwang sich, nach oben zum Erdboden zu schauen.
„Ja, nicht?“, entgegnete der Seneschall fröhlich, und Julia stellte verwirrt fest, dass es ihm nicht das Geringste auszumachen schien, seine Blicke nach oben und dann wieder nach unten schweifen zu lassen. Mehr noch, er lachte. „Das ist die Aussicht vom Südturm, Prinzessin – oder zumindest von dem Punkt, an dem sich der Südturm früher befand. Wenn Ihr nach unten … äh, ich meine nach oben schau t, könnt Ihr den Burggraben ganz deutlich erkennen. Faszinierend. Absolut faszinierend. Es handelt sich nicht um eine Illusion. Augenscheinlich hat in diesem Türrahmen so etwas wie eine Umkehr des Raumes stattgefunden. Ich spüre es ganz deutlich, und ich nehme an, jeder, der über diese Schwelle tritt, fällt
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