Das Regenmaedchen
seine Stimme wurde brüchig. »Hör
zu, ich lass dich ziehen. Das wolltest du doch.«
Er hob seine Arme, kam langsam auf sie zu, wollte über ihr
Haar streichen, ihren Hals, ihr Gesicht. »Aber einmal noch«, sagte er mit
dieser neuen brüchigen Stimme und konnte nicht anders, konnte einfach nicht
anders, »einmal noch lass mich dir nahe sein.«
Als er sie berührte, fauchte sie wie eine Katze. Sie
sprang hoch, aber da hatte er sie schon gefasst, erwischte sie am Hals.
Sie war so überrascht, dass sie sich nicht wehrte, sie
röchelte, stöhnte, er hörte ihr Ersticken wie durch Watte, da ließ er sie los,
schleuderte sie von sich, sie wirbelte herum und fiel. Kippte weg. Ganz
plötzlich. Dann ... das Geräusch. Als ihr Kopf an die Steine schlug. Ihre Augen
im Fallen. Ihr Hals. An dem noch das Leben zuckte.
Er riss an der Zigarettenpackung, seine Finger zitterten,
mühsam entzündete er eine Kippe, rauchte, überlegte, was zu tun war, wusste es
nicht, zündete sich die nächste an.
Ihr Hals hatte ihn verführt von Anfang an, das einzig
Unschuldige an ihr, das einzig Reine, das, so hatte er sich eingebildet, sonst
keiner besaß, nur er, noch immer pochte das Leben in ihm.
Er schaute nach ihr, fühlte mit dem Rücken seiner Hand,
das Bedürfnis überkam ihn, sie zu liebkosen an ihrer Unschuld, ihrer Reinheit,
er fühlte sich ertrinkend und schwach, schloss die Augen, glitt in eine Phantasie,
sie saß über ihm, lächelte, dann hörte er, wie ihr Kopf an die Steine schlug,
ihr Kopf an die Steine, wieder und wieder, und dann sickerte das Blut, bildete
Rinnsale und Pfützen, bevor es sich im Stein verlief.
Dann der wirbelnde Körper des Kindes über der
Windschutzscheibe, wieder ein Geräusch, schwere Regentropfen, die klatschten
auf sein Auto, und das Kind, seine Augen ein ersticktes Grau, plötzlich wurde
alles eins.
Verwirrt taumelte er zurück, schaute auf seine Hand, die
ins Blut gegriffen hatte. Scheiße, dachte er, Schlampe! Fotze! Machst alles
kaputt! »Scheiße!«, schrie er und drehte sich um sich selbst, einmal, zweimal,
schaute hierhin und dorthin, niemand zu sehen, drei Uhr früh.
Arthur beugte sich vor und pfiff leise durch die Zähne.
»Das müssen Sie mir jetzt aber genauer erzählen«, sagte er.
»Gern«, sagte Marilyn. »Möchten Sie etwas trinken? Ein
Glas Champagner vielleicht? Oder einen kleinen Wodka? Auf Kosten des Hauses?«
»Nein«, sagte er und bedauerte zutiefst. »Vielen Dank. Ich
bin im Dienst.«
Sie nahm eine Strähne seines Haars, die vorwitzig vor sein
rechtes Auge gefallen war, und steckte sie zurück hinter sein Ohr. »Wie
schade«, sagte sie.
Er hielt ihre Hand fest und lächelte. »Sie sind mir ja
eine!«, sagte er und fühlte sich geschmeichelt, beinahe gerührt.
»Nicht wahr?«, sagte sie.
Ein Mann kam an den Tisch, dem resoluten Auftreten nach zu
schließen der Geschäftsführer. »Darf ich fragen ...«, begann er. »Frau Wallner
...«
Arthur zückte erneut seinen Ausweis. »Kriminalpolizei«,
sagte er kühl, »Zeugenbefragung. Sie behindern gerade eine Mordermittlung.«
Der Mann erstarrte für einen Augenblick, fing sich wieder,
setzte zu einer Frage an, aber Arthur kam ihm zuvor. »Fragen Sie Ihren
Oberkellner. Der weiß Bescheid. Und jetzt wäre ich froh, in Ruhe weiterarbeiten
zu können. Vielen Dank.«
»Na gut«, sagte der Geschäftsführer verwirrt. »Wenn ich
Sie aber bitten dürfte ...«
»Sie dürfen«, sagte Arthur und staunte über sich selbst.
»Selbstverständlich dürfen Sie.«
Er nickte dem Mann freundlich zu, der zog die Augenbrauen
hoch und machte kehrt.
Marilyn lachte entzückt. »Wow!«, sagte sie. »Dem haben
Sie's aber gegeben.«
»Nicht wahr«, sagte Arthur und fühlte sich erneut
geschmeichelt. »Also. Wo waren wir stehen geblieben?«
»Ich heiße Sabine«, sagte Marilyn.
Später, als sie ihm alles erzählt und ihm das Separee
gezeigt und er doch noch ein winziges Gläschen Wodka genossen hatte, dachte er
mit einem gewissen Maß von Mitleid in der Brust, dass Lehrer eigentlich arme
Kerle waren. Weil man ihnen nichts gönnte. Weil sie sich wirklich nichts
erlauben durften. Weil sie überall und immerfort und von jedermann erkannt
wurden und es immer jemanden gab, der noch eine Rechnung offen hatte und diese
dann strahlend beglich.
Er hatte sie über die Klinge springen lassen. Ohne
Bedauern, wie sie sagte, ohne ein Wort des Mitgefühls. Er hatte ein winziges
bisschen seine linke Augenbraue gehoben und sie eiskalt über die
Weitere Kostenlose Bücher