Das Regenmaedchen
Flasche
geblieben.
Sie hielten auf dem Rastplatz, er musste pinkeln. Als er
zurückkam, saß sie auf der Bank unter diesem hässlichen, zeltförmigen Verschlag
und telefonierte. Da hatte er das erste Mal ein bisschen rotgesehen. Er setzte
sich neben sie. Sie sprach unbeirrt weiter, als wäre er gar nicht da. Auch das
störte ihn.
»Gut«, sagte sie. »Wir treffen uns dann da. Morgen. Da
musst du früh aufstehen.
Ja. Um eins. Ich werde pünktlich sein.«
Sie lachte. Gurrte. »Ich freu mich auf dich.«
Wie eine Taube, dachte er, ekelhaft.
Dann stellte er sie zur Rede. Was das heißen solle. Um
eins. Ich werde pünktlich sein. »Was soll das?«, fragte er. »Wen hast du
angerufen? Wen willst du morgen treffen?«
Sie musterte ihn verständnislos. »Das geht dich nichts
an«, sagte sie.
Ihre Unverblümtheit gab ihm den Rest. »Was willst du damit
sagen?«, brauste er auf. »Ich fahre dich gerade nach Berlin! Schon vergessen?
Da glaube ich doch, dass es mich etwas angeht, wenn du dich dort mit jemand
anderem triffst!«
Sie starrte ihn feindselig an. »Du hattest deine Belohnung
heute schon.
Vergessen?«
Er glaubte zu träumen. Hatte er sich so getäuscht? »Aber
ich liebe dich«, sagte er. »Wir wollten gemeinsam nach Berlin.«
Sie schüttelte den Kopf. Fassungslos. »Nein«, sagte sie.
»Nein, das wollten wir nicht.«
»Ich werde meine Frau verlassen«, sagte er. »Das habe ich
dir doch gesagt! Vor einer Stunde habe ich dir das gesagt. Und dass ich
mitkomme. Mit dir. Nach Berlin.«
»Nein!«, sagte sie. »Nein!« Und wich ein wenig zurück. Als
spüre sie eine Gefahr, ein vages Vibrieren in der Luft. Er lachte, wollte die
Situation entschärfen.
»Na komm!«, sagte er. »Entspann dich. Wer wird denn jetzt
so ernst sein wollen.
Lach doch wieder. Ich habe noch eine Flasche Wein im Auto.
Ich hol sie und wir köpfen sie. Und dann erzählst du mir, wer dieser komische
Typ ist, mit dem du eben telefoniert hast. Und dann sagen wir ihm ab.
Einverstanden?«
Er stand auf, ging zum Auto, öffnete den Kofferraum,
entnahm ihm eine Flasche Rotwein und einen Korkenzieher, kam zurück. »Wir
müssen allerdings aus der Flasche trinken«, sagte er. »Gläser hab ich leider
keine für Madame.«
Er verbeugte sich galant und erwartete ein freundliches
Lachen. Aber es kam nicht. Sie stand in Abwehrhaltung.
»Hör zu«, sagte sie. »Du hast da etwas missverstanden und
das müssen wir jetzt klären. Ich werde zusammen mit Ben nach Berlin gehen.
Nicht mit dir. Mit Ben. Ben ist ein Freund. Mein Freund. Wir werden beide dort
studieren und zusammenleben, und ich werde ihn morgen um eins am Bahnhof
treffen. Ist dir das jetzt klar?«
Er stand leicht vornübergebeugt, atmete schwer. In der
einen Hand hielt er den Wein, in der anderen den Korkenzieher. Seine Augen
waren schmal, feindselige Schlitze, um seinen Mund strich ein bitterer Zug.
Maries Herz zog sich ängstlich zusammen. Sie hob die Arme.
»Du musst mich auch nicht mehr nach Berlin fahren«, sagte
sie und erschrak noch einmal, weil ihre Stimme zitterte. »Ich sehe ein, das ist
sehr weit, und wir sind beide müde. Wir fahren jetzt einfach zurück nach Hause,
und ich nehme morgen den Zug.«
Sie kam heran, langsam. Wollte ihm über das Gesicht
streichen, ein tröstlicher Abschied sollte es werden.
Er schlug ihre Hand weg. Wütend. Verletzt. Die Flasche
glitt ihm aus den Fingern, segelte durch die Luft, krachte auf den
Fahrstreifen, knapp am Auto vorbei. Es klirrte, ein dumpfer Ton, als die Flasche
zersprang, der Wein verrann im Regen. Er zog eine Kippe, noch eine. Sie hatten
sich beruhigt, beide. Mühsam.
Weil sie wussten, dass es nicht anders ging. Weil sie
wussten, dass sie sich beruhigen mussten. Schließlich würde etwas zu geschehen
haben, bald, sie konnten nicht ewig hier bleiben auf diesem Scheißrastplatz an
diesem Scheißtisch unter diesem Scheißverschlag. Er holte eine weitere Flasche
aus dem Auto.
Marie sagte vorsichtig, das sei vielleicht keine gute
Idee. Ob sie nicht schon genug getrunken hätten, sie müssten doch noch zurück
in die Stadt. Wenn sie in eine Kontrolle gerieten, wäre er seinen Führerschein
los.
Er schaute sie finster an, suchte nach einem Ausweg. Dann
schoss er auch die zweite Flasche in den Wind, dann begann er zu lachen. Er
lachte und lachte, war nicht sicher, ob er jemals wieder aufhören würde, war
nicht sicher, ob es noch Lachen war oder schon Weinen, konnte nicht aufhören.
Endlich, nach einer Ewigkeit, setzte sich Marie neben
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