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Das Regenmaedchen

Das Regenmaedchen

Titel: Das Regenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Kreslehner
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dem sie
wussten, dass er sie, wenn er ausbrach, noch einmal ordentlich über die Erde
peitschen würde. Sie spürten das immer schon vorher, es war ein Kribbeln, das
ihre Eingeweide in Aufruhr versetzte, es war der Grund, warum er, Felix, an
diesen Tagen nichts Schweres essen sollte, es aber, wider besseres Wissen,
trotzdem tat und es jedes Mal büßte, weil er dann, wenn endlich alles vorbei
war, stundenlang auf dem Klo saß und Durchfall hatte und sich die Seele aus dem
Leib schiss.
    Ja. So war das. So deftig. So ordinär. Und es war auch so,
dass es alt machte, beschissen alt. Tattergreise würden sie sein vor der Zeit,
weil all diese Fälle das Leben aus ihnen saugten, das blühende, frische Leben,
immer spürte er das in Augenblicken wie diesen, spürte dieses Alte, dieses
Müde, das langsam Eingang fand in ihn, dieses Zerfetzende, das das Jugendliche
aus ihm zog. Er nahm an, dass es mit Franza nicht anders war, ihr Gesicht und
ihre Augen sprachen eine eindeutige Sprache, zu fragen hatte er sich allerdings
noch nie getraut.
    Er sah es auch, wenn er Borger anschaute,
Krawatten-Borger, dessen Krawatten seinen Hals immer bedrohlicher einzuengen
schienen, ihn nahezu einkropften und seine roten Wangen praller machten, als
sie eigentlich waren. Vielleicht hatte sie recht, Franza, sich diesen Schauspieler
zu erlauben, diesen Jungen, es gab ihr wohl eine Ahnung des Verlorenen. Aber
wie lange würde er da sein? Irgendwann würde ein Angebot aus Norddeutschland
ihn fortholen oder aus der Schweiz, auf jeden Fall eines, dem er nicht
widerstehen konnte. Und dann?
    Herz sah, wie Franza schluckte, wie ihre Augenlider
zuckten. Müde war sie, hatte zu wenig Schlaf bekommen all die Tage, war
ausgelaugt an Körper und Seele, ausgelaugt von ihrer Sorge um Ben und
überhaupt.
    »Frau Gleichenbach«, sagte sie, »wir wollen das hier doch
nicht künstlich in die Länge ziehen. Wir sind alle müde. Lassen Sie uns zu
einem Ende kommen. Was war mit diesem Mädchen damals?«
    Herz schaute Judith an und wusste, Franza hatte die
richtigen Worte gefunden. Judith wurde weich, begann zu fließen.
    »Ein einziges Mal«, sagte sie. »Ich habe sie ein einziges
Mal gesehen.« Felix atmete auf. Und tief durch. »Wann?«
    Sie schwieg, wischte über ihr Gesicht, unablässig liefen
nun ihre Tränen. Sie hatte Zeit, sie hatte schon alles verloren.
    »Wann? Wo?« Sie schüttelte den Kopf. Andere Frage, dachte
Herz, anderes Thema! Schnell!
    Franza kam ihm zuvor. Sie nahm das Foto vom Tisch, zeigte
auf das Mädchen. »Sind Sie das?« Judith nickte.
    »Haben Sie die Köpfe eingekreist?«
    »Nein.«
    »Dann hat Marie es getan. Warum? Wo ist die Verbindung?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Ihre Verzweiflung war greifbar, ihre Ratlosigkeit. Sie
wusste es wirklich noch nicht.
    »Sagt Ihnen der Name Lauberts etwas? Anton Lauberts?« Sie
dachte nach, schüttelte den Kopf, wiederholte den Namen. »Lauberts? Nein.«
Schade, dachte Franza, wirklich schade. Sie hakte nach. »Der Mann neben Ihnen
auf dem Foto ist also nicht Anton Lauberts?«
    Wieder schüttelte sie den Kopf, verständnislos. »Nein. Wie
kommen Sie auf diese Idee?«
    »Wer ist es dann?«
    Sie blickte hoch. In ihre Augen trat langsam eine Ahnung.
Sie schüttelte den Kopf, unmerklich, als wollte sie abschütteln, was sie
allmählich zu wissen begann.
    »Nein«, sagte sie, und sie hörten ihr atemloses Erstaunen.
»Nein. Es ist zwanzig Jahre her. Es kann nichts mit Marie zu tun haben. Sagen
Sie mir, dass es nichts mit ihr zu tun hat.«
    »Sein Name«, sagte Felix. »Sagen Sie uns seinen Namen!«
    »Johannes«, sagte sie. »Wie noch?«
    Sie hielt den Atem an, ihre Augen begannen zu flattern.
Sie hielten alle den Atem an.
    »Wie noch?«, fragte Felix.
    »Reuter«, sagte sie. »Johannes Reuter.«
    Sie schauten sich an. Sie wussten sofort, sie hatten den
Namen schon gehört. Es klickte in ihren Köpfen. Langsam nur, aber es klickte.
Johannes Reuter.
    Sie kannten den Namen, aber woher?
    Stärker klickte es, langsam bröckelte der Nebel weg, löste
sich auf wie knispernder Badewannenschaum. Johannes Reuter.
    Franza schaute auf das Foto, dachte sich die langen Haare
weg, dachte sich zwanzig Jahre dazu. Manche waren wie guter Wein, kamen zur
vollen Blüte erst nach Jahren.
    »Deine Preisklasse«, hatte Felix gesagt. Oder so ähnlich.
»Wie Boris Becker.« Wann hatte er das gesagt? Wann?
    Sie wussten es gleichzeitig, schauten sich an und wussten
es. Keine Glatze. Durchtrainierte Figur. Sympathisch. Gutaussehend.

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