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Das Regenmaedchen

Das Regenmaedchen

Titel: Das Regenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Kreslehner
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mitgenommen«, flüsterte sie. »Sie hat es tatsächlich
mitgenommen.« Franza stand auf, beugte sich hinunter zu dem Album, sah, dass
auf der aufgeschlagenen Seite ein Foto fehlte. »Was?«
    »Das.« Die Stimme der Frau war tonlos, ihr Gesicht starr.
»Das, was Sie da auf dem Tisch liegen haben.«
    »Erzählen Sie«, sagte Franza und spürte plötzlich, dass es
dringend war. Die Zeit lief ihnen davon. Etwas, von dem sie noch nichts
wussten, war im Gange. Judith dachte nach. »Vor einem halben Jahr ungefähr ist
sie hier aufgetaucht. Kurz vor Weihnachten. Ich war... überrascht. Und sehr
froh. Sie war verändert, erzählte, sie hätte jemanden kennengelernt. Wir haben
Tee getrunken, sie hatte Lebkuchen mitgebracht, erzählte mir, die Mutter ihres
Freundes hätte den gebacken. Ich fand das komisch. Und rührend. Sie war so
stolz auf dieses ... Normale.«
    Sie lachte leise, während Tränen über ihre Wangen liefen.
»Dann wollte sie plötzlich Fotos anschauen, von früher. Ich habe ihr zwei, drei
Alben herausgelegt. Sie muss dann wohl auch die anderen angesehen haben.«
    »Waren Sie nicht dabei?«
    »Nicht die ganze Zeit. Ich habe ihr Bett gerichtet. Sie
wollte hier übernachten. Aber als ich wiederkam ...«
    Sie stand auf, wischte sich über das Gesicht. »Alle Alben
waren weggeräumt. Sie hatte das Geschirr in die Küche getragen, sagte mir, sie
könne nun doch nicht hier schlafen, sie müsse zurück in die Stadt, es fahre ein
Bus in zehn Minuten.«
    »Hat sie gesagt, warum?«
    »Nein.« Judith schüttelte den Kopf. »Sie hat nichts
gesagt, und ich habe nicht gefragt.«
    »Warum nicht?«
    »Weil ich wusste, dass sie mir keine Antwort geben würde.
So war sie eben.«
    »War sie verändert?«
    Judith zuckte die Schultern.
    »Und Sie haben nicht nachgefragt, was los war?«
    Judith wandte sich zum Fenster, sie zitterte, war dabei,
die Nerven zu verlieren. »Meine Güte, wenn Sie meine Tochter gekannt hätten,
dann würden Sie nicht solche Fragen stellen. Entweder sie erzählte von selbst
oder eben nicht. Und fast immer erzählte sie nicht!«
    Franza nickte beruhigend. »Also gut. Weiter. Was ist dann
passiert?« Tiefes Seufzen. »Nichts. Sie ging.«
    »Sie hat also diesen Zeitungsartikel gefunden. Und das
Foto. In diesem Album?« Judith nickte. »Ja. So muss es wohl gewesen sein.«
    »Wo ist der Zusammenhang?«
    »Es gibt keinen!«
    »Und das sollen wir Ihnen glauben?«
    Das Zittern verstärkte sich, sie zuckte mit den Schultern.
»Der einzige Zusammenhang besteht darin, dass ich den Artikel auf dieser Seite
im Album aufbewahrt habe.«
    »Warum haben Sie ihn aufbewahrt?«
    »Ich weiß es nicht mehr. Es ist zwanzig Jahre her.«
    »Kannten Sie das Kind, das überfahren wurde?«
    »Nein.«
    »Nein?!«
    Judith Gleichenbach öffnete die Terrassentür, ein frischer
Luftzug kam herein. Sie atmete tief durch.
    »Frau Gleichenbach.« Franza trat an sie heran und berührte
sie an der Schulter.
    »Frau Gleichenbach, Sie sollten uns helfen. Es geht um
Ihre Tochter!«
    Sie nickte. »Ja«, flüsterte sie. »Ja, ich weiß. Um meine
Tochter.«
    »Also, das Mädchen. Sie hieß Lisa Fürst. Sie war mit ihren
Eltern hier auf Urlaub. Jemand hat sie mit dem Auto niedergestoßen und dann
einfach liegen und sterben lassen! Der oder die Fahrer sind abgehauen. So etwas
nennt man Fahrerflucht! Eine schwere Straftat! Ich denke, Sie wissen das!«
Felix hielt ihr den Artikel hin, seine Stimme war scharf geworden, zornig, auch
er wusste, dass die Zeit lief. »Schauen Sie sie an! Sie kannten sie doch!«
    Judith schüttelte verzweifelt den Kopf. »Nein! Ich kannte
sie nicht! Und ich weiß auch nicht, was Sie von mir wollen!«
    »Ach, hören Sie doch auf!« Felix war wütend. »Sie wollen
uns doch nicht erzählen, dass Sie diesen Zeitungsartikel einfach nur aus Spaß
aufgehoben haben! Das muss doch einen Grund gehabt haben! Und den haben Sie
auch nicht vergessen!«
    Er wartete, sah, dass sie mit sich rang. Mach schon,
dachte er, lass dir nicht so endlos lange Zeit. In seinem Körper rumorte der
Zwiebelrostbraten aus der Kantine, er war zu fett gewesen und zu groß, und er
wollte mit Franzas Keksen nicht harmonieren und noch weniger mit dem
Blaubeerstrudel. Außerdem spürte er diese bleierne Müdigkeit in sich, die sich immer
dann einstellte, wenn schwierige Fälle zwar spürbar ins Finale gingen, sich
aber dann doch noch zierten.
    Felix schaute Franza an und sah gleich, dass es ihr
genauso erging. Sie fühlten sich wie Marionetten vor dem Sturm, von

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