Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Regenmaedchen

Das Regenmaedchen

Titel: Das Regenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Kreslehner
Vom Netzwerk:
Kollege, der ihn bearbeitet hatte, war kurz vor der
Pensionierung gewesen und ein Jahr später an einer Gehirnblutung verstorben,
sie konnten ihn also nichts mehr fragen. Nicht einen reellen Verdächtigen hatte
es damals gegeben, niemand hatte etwas gesehen, niemand etwas gehört. Das
Unwetter, das zum Zeitpunkt des Unfalls geherrscht hatte, hatte dem oder der
oder den Fahrerflüchtigen in die Hände gespielt.
    Das Mädchen, ein Urlauberkind aus dem Norden auf
Verwandtschaftsbesuch, war an der Donau gewesen, hatte die Zeit vertrödelt. Die
Eltern waren schon vorausgefahren, wollten noch einkaufen für das Abendessen,
Nudeln sollte es geben. Lisa hatte sich angefreundet mit Kindern aus dem Dorf,
hatte noch bleiben wollen. Als das Gewitter aufzog, liefen alle in verschiedene
Richtungen auseinander.
    Die Eltern fanden sie, waren zurückgekehrt an den Strand,
hatten sich Sorgen gemacht wegen des Gewitters, hatten sie gesucht. Ungefähr
zur selben Zeit hatte es unter der Polizeinotrufnummer einen anonymen Anruf
gegeben, eine weibliche Stimme meldete den Unfall, beschrieb die Unfallstelle,
bat dringend um einen Notarzt. Aber alle Rettungsmaßnahmen kamen zu spät, die
Eltern mussten ein totes Kind mit nach Hause nehmen.
    »Was für eine tragische Geschichte«, sagte Franza und
legte die Akte Lisa Fürst zurück in die Ablage.
    Sie nahm erneut das Foto zur Hand. Was hatte es mit dem
Zeitungsausschnitt zu tun? Und was der Fall Fürst mit dem Fall Gleichenbach?
Franza seufzte und hielt sich das Foto dicht vor die Augen, aber es nützte
nichts, die Gesichter waren so klein, dass man so gut wie nichts erkannte.
    »Vielleicht geht's damit«, sagte Herz und hielt Franza
eine Lupe hin. Ein paar Augenblicke später stieß sie einen überraschten Laut
aus. »Was ist?«, fragte Herz gespannt. Sie reichte ihm Foto und Lupe über den
Tisch. »Schau selbst.«
    Es war eindeutig. Judith Gleichenbach, Maries Mutter.
    Und er? Lange, dunkle Haare, Stirnband, sportlich,
braungebrannt.
    Konnte es Lauberts sein? Der so intensiv gesuchte Doktor
Lauberts? Sie wussten es nicht. Es war nicht zu erkennen.
    »Was soll's«, sagte Franza und lehnte sich in ihrem Stuhl
zurück. »Das Foto ist zwanzig Jahre alt. Zwanzig Jahre verändern einen
Menschen.« Herz nickte, während er sich erhob und nach seiner Jacke griff.
»Aber was rätseln wir. Sie wird es uns sagen können.«
    Franza tippte auf den Zeitungsartikel. »Und den
Zusammenhang erklären müssen.«
     
    Er hatte die Hose geschlossen, langsam, hatte sie
ungläubig angestarrt, einen Herzschlag lang, mehrere, bevor das Entsetzen kam.
Ein Name. Lisa Fürst. Ob er ihn kenne.
    Ob er ihn kenne? Wie konnte sie das fragen? Was ritt sie
für ein Teufel?
    Er hatte sich doch eingebrannt. Ätzte wie Salzsäure in
seinen Eingeweiden, ätzte ihn dem Tod entgegen seit mehr als zwanzig Jahren.
Wie konnte sie ...
    »Oh Gott!«, sagte sie und die Erkenntnis setzte sich
langsam durch, man konnte es deutlich sehen. Er sah es.
    Sie stand auf, wie in Zeitlupe.
    »Du bist gefahren«, sagte sie staunend. »Du bist das
gewesen!« Sie taumelte ein bisschen, das war der Alkohol, der hatte ihre Zunge
gelöst und der machte sie nun taumeln hinaus aus ihrem Leben, hinein in den
Tod. Aber das wusste sie noch nicht, das wussten sie beide noch nicht.
    Sie drehte sich um, jetzt will sie fort, dachte er, aber
das geht jetzt nicht mehr. Das geht jetzt wirklich nicht mehr.
    Sie wollte an ihm vorbei. »Ich weiß nichts«, sagte sie. »Wirklich,
ich weiß nichts.«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er, »du weißt
wirklich nichts. Ich habe mit mir gerungen«, sagte er, »Ich ringe jeden Tag mit
mir. Du hast keine Ahnung.«
    »Sie war erst neun«, sagte sie. »Scheiße noch mal, ein
neunjähriges Mädchen, und du bist abgehauen.«
    Ihre Stimme wurde fester, das Staunen wich, das
Sich-Wundern. »Du hast sie umgebracht!«, schrie sie. »Ein kleines Mädchen!«,
schrie sie. »So ist das immer! Ihr tötet sie und dann lasst ihr sie liegen und
kümmert euch nicht, und dann sterben wir wieder und wieder, aber ihr, ihr geht
eurer Wege, geht zurück in eure Leben, und wir? Bleiben! Wo ihr uns liegen
gelassen habt, wo ihr uns abgelegt habt! Und keiner sieht uns mehr. Keiner.«
    Sie wimmerte, kauerte sich zusammen, fing sich im Alkohol
und ihrer Erinnerung.
    Gut, dachte er, sie wird keine Probleme machen. »Hör zu«,
sagte er, »hör gut zu, ich bring dich jetzt nach Berlin, und wir vergessen die
Sache.«
    »Hör zu«, sagte er, und

Weitere Kostenlose Bücher