Das Regenwaldkomplott
Vater wüßte.«
»Ich habe keine Angst, es ihm zu sagen.«
»Zum erstenmal in deinem Leben würdest du Prügel von ihm bekommen.«
»Das würde nichts ändern an unserer Liebe – im Gegenteil.«
»Ein unbekannter, kleiner, armer Zoologe!« Empörung ließ Dona Joanas Stimme hell werden. »Du wirfst dich weg an so einen Nichtsnutz! Sofia, es ist eine Schande, die du über unser Haus bringst! Niemand darf das erfahren, niemand! Kein angesehener Mann würde sich mehr für dich interessieren. Du hast deine Ehre verloren. Deine Ehre – begreifst du das? Was ist ein Mädchen ohne Ehre noch wert?«
»Ich liebe ihn. Alles andere ist mir gleichgültig.«
Und da sagte Dona Joana einen Satz, den ihr Sofia nie vergessen würde:
»Warum hat er den Absturz bloß überlebt!«
Sofia starrte ihre Mutter entsetzt an. Sie ballte die Fäuste, ein Zucken lief über ihr schönes Gesicht.
»Wie kannst du so etwas sagen, Mama?!« stammelte sie. »Ich wäre bereit, zusammen mit Marco zu sterben.«
»Du bist wahnsinnig, Sofia.«
»Ja, ich liebe ihn wahnsinnig. Damit müßt ihr euch abfinden.«
»Das werden wir nie!«
»Morgen fliege ich nach Santo Antônio.«
»Das wirst du nicht!«
»Wer will das verhindern?«
»Dein Vater.«
»Dann muß er mich einsperren.«
»Das werden wir auch!«
»Versucht es! Versucht es doch!« Sofia sprang auf und rannte in ihrem Zimmer hin und her. Dona Joana verfolgte sie mit besorgtem, aber kaltem Blick. Die Pläne der Familie Lobos sahen ganz anders aus. Zwei attraktive Söhne reicher Eltern der ersten Gesellschaft bewarben sich – noch diskret – um Sofia. Der eine war der Erbe einer Aluminiumfabrik, der andere würde einmal einen Konzern übernehmen, der Waffen herstellte. Zwei Partien, die den Lobos' sehr zusagten, wobei der Aluminiumerbe die besseren Aussichten hatte. Denn alle Schmelzöfen wurden mit Holzkohle befeuert, jede Verhüttungsanlage benötigte Holzkohle, und das Holz lieferte Paulo Lobos. Es war ja genug da. Und da kam plötzlich ein mickriger Zoologe daher und entehrte die einzige Tochter.
Man muß diesen Marco Minho unschädlich machen, dachte Dona Joana. Für Lobos eine Kleinigkeit – ein Wink, ein Gespräch, nur ein paar Worte, das genügte, um diesen Minho für immer in eine Ecke zu stellen, aus der er nie wieder herauskam.
»Überleg es dir, Sofia«, sagte Dona Joana mit der Würde, die sonst immer in ihrer Stimme lag. »Laß es nicht zum Äußersten kommen. Du kennst Papas Einfluß.«
»Ja, ich kenne ihn.« Sie warf sich herum und starrte ihre hoheitsvolle Mutter an. »Er würde Marco sogar von seinen Pistoleiros töten lassen!«
Dona Joana schwieg. Sie zuckte nur mit den Schultern, verließ den Raum und schloß von draußen ab.
Sofia war eine Gefangene im eigenen Elternhaus. Sie lief zur Tür, trommelte mit den Fäusten dagegen, schrie und schrie, aber niemand hörte sie – wollte sie nicht hören.
Von dieser Stunde an war Marco Minho schon ein toter Mann. Menschliches Freiwild, das man jagen und töten durfte.
Und er wußte es nicht.
»Sie haben es wirklich schwer«, sagte Gilberto, und ehrliches Bedauern lag in seiner Stimme.
Er meinte damit nicht die Holzfäller und Brandleger, die bei 40 Grad Hitze und 95 % Luftfeuchtigkeit den Regenwald abholzen und die mächtigen Stämme verladen mußten, sondern er meinte damit die neun Huren, die in drei Wohnwagen und sechs Zelten ihrem schweren Gewerbe nachgingen.
»Neun Mädchen für 760 Mann, Senhor, das ist mörderisch. Wie halten die das bloß aus? Die vögeln wie am Fließband!«
»Andere Sorgen haben Sie wohl nicht?« Minho rückte einen aus Palmfasern geflochtenen breitkrempigen Hut tiefer ins Gesicht.
Sie saßen am Ufer des Rio Parima auf einer Bank. Ja, auf einer richtigen Bank, als wäre das hier ein Kurort, wo man genießerisch an einem Fluß sitzt und sich erholt. Hinter ihnen und vor ihnen auf der anderen Seite des Rio Parima kreischten die Motorsägen, hing eine riesige Rauchwolke über dem Wald, stürzten donnernd die Stämme in das Unterholz, Lianen, Würgefeigen, Bromelienkolonien und unzählbare Kleintiere mit sich reißend.
Gilberto hatte dafür kein Auge. Die Strapazen lagen hinter ihm, die Kräfte waren zurückgekehrt und damit auch das Verlangen nach einem stöhnenden, glatten Frauenkörper. Hundert Meter hinter ihm standen die Wohnwagen und Zelte der Mädchen.
»Sie denken wohl nicht daran?« fragte er.
»Nein.«
»Dann entschuldigen Sie mich, Senhor.« Gilberto erhob sich von der
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