Das Regenwaldkomplott
werden läßt. Sie sind doch ein Don Quichote!« Er gab Thomas die Hand. »Wir hören noch voneinander … und es wird nichts Erfreuliches sein. Grüßen Sie Luise von mir. Ich hätte mir gewünscht, daß wir anders zusammenarbeiten.«
Als die Flugzeuge in den sonnigen Himmel stiegen, blickte ihnen Thomas sinnend nach. Pater Ernesto stand neben ihm und sog an seiner Pfeife.
»Was hat Coronel Bilac vor?« fragte Thomas.
»Wer weiß das? Eine Gemeinheit wird's auf alle Fälle sein. Ich nehme an, man wird dich von der Mission abziehen.«
»Das entscheidet Bilac nicht. Ich bin vom Innenministerium gerufen worden.«
»Man wird dich abschieben, zurück nach Deutschland. Du hast zuviel Gewissen.«
»Ich habe noch nicht allzu viel von der Tragödie Regenwald gesehen, aber was ich gesehen habe, genügt, die Öffentlichkeit zu alarmieren.«
»Dieser Ansicht scheint auch Bilac zu sein. Und hinter Bilac steht nicht die Regierung, sondern der Clan der Großgrundbesitzer, Fabrikaten und Spekulanten. Du hast sie noch nicht kennengelernt, vielleicht lernst du sie nie kennen, aber du wirst ihre Macht spüren. Sie sind die wahren Regenten!«
»Auch die fürchte ich nicht!«
»Sie nicht, aber sie haben ihre eigenen Truppen. Die Pistoleiros. Bezahlte Mörder. Ein Wort, ein Wink, ein paar Dollar Handgeld …«
Pater Ernesto sog an seiner Pfeife, eine dicke Rauchwolke quoll aus dem Pfeifenkopf. »Weißt du, was in den letzten Jahren passiert ist, als die Großgrundbesitzer Tausende von Quadratkilometern Regenwald abholzten für Weiden, Holzkohle, Edelholz und Siedlungsprojekte und in das Gebiet der Kautschukzapfer, der Seringueiros, kamen? Natürlich hatten die sich gewehrt, daß aus ihrem Wald eine Weide für die weißen Nellore-Rinder werden sollte. Sie organisierten Sitzstreiks, zogen zu den Lagern der Holzfäller und umzingelten sie, sie schickten Delegationen nach Brasilia. Und was geschah? Die Pistoleiros der Großgrundbesitzer brachten über zweihundert Kautschukzapfer um, erschossen oder erschlugen sie … und keiner zog sie zur Rechenschaft! Wer dann noch lebte und unbequem war, wie etwa Julio Maputo, erhielt immer wieder anonyme Anrufe mit der Drohung: Du wirst bald sterben. In Brasilien hat man dafür sogar einen Namen: Anunciado ! Wer eine Anunciado erhält, ist bereits tot. Es ist nur eine Frage der Zeit. Er könnte fliehen, wohin er wollte, er könnte sich mit Leibwächtern für teures Geld umgeben – die Pistoleiros kriegten ihn doch.« Ernesto sah Thomas mahnend an. »Auch du wirst eines Tages eine Anunciado bekommen. Dann rettet dich niemand mehr. Du würdest nicht einmal das Flugzeug nach Deutschland erreichen.«
»Aber man darf doch nicht schweigen!« Thomas hieb die Fäuste gegeneinander. »Allein, was Bilac hier getan hat, sollte die ganze Welt wissen. Was wäre gewesen, wenn die Yanomami nicht in den Wald geflüchtet wären?«
»Es gäbe diesen Stamm nicht mehr.«
»Bilac hätte sie wirklich alle getötet?«
»Ja. In Notwehr. Er hätte genug Zeugen gehabt, die beschworen hätten, die Indianer hätten ihn und seine Polizisten angegriffen.«
»Ich hätte das Gegenteil bezeugt!«
»Du! Ein Ausländer! Was gilt denn deine Stimme?! Ja, wenn eine verirrte Kugel dich getroffen hätte. Dann wärst du sogar ein Held geworden – so einfach ist das hier bei uns! Tom, du bist Arzt. Hilf den Menschen, aber opfere dich nicht für Unabänderliches. Die anderen sind stärker –«
»Und ihr? Ihr Priester?«
»Wir protestieren immer und immer wieder. Der Bischof von Roraima, der Bischof von Amazonien, die Bischöfe von Acre und Rondônia, die Erzbischöfe von Rio und São Paulo – alle haben sie protestiert! Aber es geschieht nichts. An die Bischöfe wagt man sich nicht heran, aber einige Patres und Priester sind von den Pistoleiros der Großgrundbesitzer erschossen worden. Und auch das ist den Zeitungen nur noch eine kurze Meldung wert. Eine Änderung müßte von oben, von den Ministerien in Brasilia und den Regionalregierungen kommen, aber gerade bei den Regionalregierungen gibt es zuviel offene Hände. Die Lobby, wie es vornehm heißt, ist überall.«
Sie gingen hinunter zum Fluß und setzten sich auf die Bank. Aus dem verbrannten Dorf der Yanomami stieg noch immer Brandgeruch auf.
»Wer ist der Rote Pfeil?« fragte Thomas plötzlich.
Pater Ernesto schmauchte wieder an seiner Pfeife. »Ich würde zehn Rosenkränze beten, wenn ich das wüßte.«
»Ist er nun ein Indio oder nicht?«
»Nein.«
»Wieso bist
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