Das Regenwaldkomplott
Wendung nahm. Es ging nicht mehr um Liebe und heimliche Treffen – die Existenz des Lobos-Clans stand auf dem Spiel.
»Ich weiß jetzt alles! Alles! Wenn ich mich schäme, dann nicht wegen Marco, sondern daß ich Lobos heiße! Du, Mama, ich, wir alle leben von der Zerstörung!«
»Es hat keinen Sinn, diese hirnverbrannte Ansicht zu kommentieren.« Lobos nahm seine Zigarre von der Glastischkante und saugte kräftig daran. Auch eine Davidoff No. 1 schmeckt scheußlich, wenn sie kalt ist. Er wartete, bis sie wieder kräftig glühte, und stand aus dem Sessel auf. »Wie denkst du, daß es weitergeht?«
»Mama sagt, ich bleibe eingesperrt. Aber das wollen wir erst mal sehen –«
»Natürlich bleibst du nicht eingesperrt. Du kannst tun, was du willst. Alle Türen stehen offen.«
»Ist das wahr, Papa?«
»Wenn ich es sage.«
»Und Mama?«
»Sie wird meine Anordnung respektieren. Niemand sperrt meine Tochter ein.«
»Danke, Papa.«
»Ich habe Vertrauen zu dir, das ist alles. Das ist selbstverständlich. Wir sollten in Zukunft mehr miteinander sprechen. Mehr als bisher.«
»Ja, Papa. Wir werden darüber reden. Ich liebe Marco wie mein Leben.«
»Bitte, keine Geständnisse mehr.« Lobos lächelte etwas verzerrt. »Laß uns alle erst einmal zur Ruhe kommen.«
Er verließ Sofias Zimmer und ging sofort hinüber zu seiner Bibliothek. Dort griff er zum Telefon und rief Senhor Rodrigues in Surucucu an. Rodrigues war der Direktor einer Handelsgesellschaft für Edelhölzer. Ein Mosaiksteinchen im Lobos-Konzern.
»Rodrigues«, sagte Lobos. Seine Stimme klang wie immer, geschäftlich. »Auf der Missionsstation Santo Antônio am Rio Parima ist ein Wissenschaftler eingetroffen. Ein Zoologe. Marco Minho heißt er. Ich möchte, daß Sie sich ein wenig um ihn kümmern.«
»In welcher Hinsicht, Senhor Lobos?« fragte Rodrigues devot zurück. »Haben Sie besondere Wünsche?«
»Nur beobachten, weiter nichts. Was er so tut, was er sagt, mit wem er verkehrt, welche Pläne er hat. Schicken Sie einen Beobachter nach San Antônio, und machen Sie mir jede Woche Meldung.«
»Das ist alles, Senhor Lobos?«
»Vorerst ja.« Lobos sog wieder an seiner Zigarre. »Das andere kommt vielleicht später. Dieses Mal muß es wie ein Unfall aussehen. Aus rein persönlichen Gründen –«
»Ich werde alles arrangieren und vorbereiten, Senhor Lobos.« Rodrigues schien am Telefon eine tiefe Verbeugung zu machen. »Sie werden wie immer zufrieden sein.«
»Das hoffe ich«, erwiderte Lobos knapp und legte den Hörer auf.
Was getan werden muß, muß getan werden, dachte er. So ist nun mal das Leben.
Über eine Woche hatten Lobos und Dona Joana über ihr Töchterchen Sofia nicht zu klagen. Sie war wie immer, tanzte auf Partys, war fröhlich und von den Männern umschwärmt, ritt über Land, spielte mit Freunden Tennis und genoß das Leben einer Millionärstochter. Dona Joana war verwundert. Sollte Sofia tatsächlich Minho schon vergessen haben? Hatte die Aussprache mit ihrem Vater geholfen. Sah sie keine Zukunft mehr für sich und Marco? Das Leben mit einem Arbeitslosen war ihr vielleicht doch zu beschwerlich.
Wenn dem so war, dann sei Gott gedankt. Dann sollte man die größte Kerze stiften, die je in der Kathedrale von Boa Vista gebrannt hatte.
Das Glück der Lobos' hielt zehn Tage lang.
In diesen zehn Tagen hatte Sofia ihren Plan reifen lassen. Sie hatte nach und nach ihr Bankkonto abgeräumt, das ihr Vater großzügig für sie angelegt hatte, und sich den Betrag in Dollar auszahlen lassen. Sie hatte eine leichte Tasche aus Nylongewebe mit dem Allernötigsten gepackt und unter dem Bett versteckt. Und sie hatte ihre Freundin in Brasilia verständigt, daß sie in Kürze zu Besuch käme. Sie hatte das Telefongespräch so geführt, daß Lobos und Dona Joana es hören mußten, worauf Vater und Mutter sich ansahen und sehr zufrieden waren. Es ist vorbei. Sie hat Minho abgeschrieben. Sie ist doch ein kluges Mädchen. Nur daß gerade so ein Kerl mit ihr geschlafen hatte, lag noch wie ein Stein auf Dona Joanas Herzen.
Am elften Tag ließ sich Sofia zum Flugplatz von Manaus bringen. Nach einem zärtlichen Abschied von den Eltern war sie in den Mercedes 500 gestiegen, den ein livrierter Chauffeur steuerte. Die zwei Koffer im Kofferraum waren mit Stapeln alter Zeitungen und Illustrierten gefüllt, damit den Dienern nichts auffiel. Wie gewöhnlich trugen sie das Gepäck zum Auto und verstauten es im Kofferraum. Die Nylontasche hatte Sofia vorher in den
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