Das Regenwaldkomplott
Gesicht. »Wer ist denn das?«
»Keine Ahnung. Sie sagt, sie sei mit Minho verlobt. Ob's wahr ist, interessiert mich nicht. Kann ich die Nacht über bei euch bleiben? Ich fliege morgen in aller Frühe wieder zurück.«
Ribateio nickte zustimmend, senkte den Scheinwerfer zum Boden und trat auf Sofia zu. Er grüßte höflich und sah auf den ersten Blick, daß der späte Gast etwas Besseres war, nicht so eine, die erst in der Dunkelheit munter wird.
»Sie wollen zu Senhor Minho?« fragte er. »Ich bringe Sie zu ihm. Er schläft bei Senhora Herrmann.«
Sofias Kopf zuckte hoch. Sie starrte Ribateio fassungslos an.
»Wo … wo ist er?«
»Ich meine, er hat ein Zimmer im Laborgebäude.« Ribateio grinste. Der Scherz war gelungen. Wie schnell man Frauen aus der Fassung bringen konnte.
Er zeigte hinüber zu der Steinbaracke. In drei Räumen brannte Licht. Auch nebenan das Hospital war erleuchtet. Sofia sah hinüber zu den verschiedenen Gebäuden der Mission, dem Wasserturm, dem Generatorenhaus, den Schuppen, dem kleinen Glockenturm auf dem Hauptgebäude, der offenen Garage und zu dem Durcheinander von Balken, Brettern, Steinen, Sand, Zementsäcken und einer Betonmischmaschine. An der Mission wurde immer weitergebaut. Jetzt, in der Nacht, sah das alles trostlos aus. Was hatte ihr Vater gesagt? Willst du mit ihm in den Slums hausen? Und sie hatte trotzig geantwortet: Ja. Nun werde ich auf einer Missionsstation leben, umgeben von Urwald und Einsamkeit. Aber ich werde mit Marco leben, das allein ist wichtig. Ich könnte mit ihm in den Regenwald ziehen und leben wie ein Indio. Ich liebe dich, Marco. Überall, wo wir sind, wird unser Zuhause sein.
»Senhora Herrmann arbeitet noch«, sagte Ribateio und zeigte auf die zwei rechten erleuchteten Fenster. Dahinter lag das Labor. »Ganz links das Fenster, das ist Senhor Minho.«
Sie nickte und nahm ihre Nylontasche entgegen, die Antoninho aus dem Flugzeug geholt hatte. »Ich danke Ihnen nochmals herzlich«, sagte sie und gab ihm die Hand.
»Wofür? Sie haben doch bezahlt.« Er zögerte und hielt ihre Hand fest. »Sie wollen wirklich hierbleiben?«
»Ja. Ich bin doch nicht der einzige Mensch, der hier lebt.«
»Sie sehen so aus, als würden Sie ein solches Leben noch nicht kennen.«
»Ich werde mich dran gewöhnen. Ich … ich habe meinen Mann hier.«
»Das ist ein Grund.« Antoninho ließ ihre Hand los. »Viel Glück. Soll ich sagen: Gott helfe Ihnen?«
»Ja. Ich werde seine Hilfe bestimmt brauchen.«
Ribateio brachte sie bis in den Flur des Hauses und zeigte nach links. »Die letzte Tür …«, flüsterte er und grinste verschwörerisch. »Soll ich Dr. Binder verständigen?«
»Warum?«
»Minho könnte einen Herzschlag bekommen, wenn Sie plötzlich zur Tür reinkommen.«
Sofia lächelte, schüttelte den Kopf und wartete, bis Ribateio leise das Haus verlassen hatte. Dann ging sie auf Zehenspitzen den Flur entlang, stellte ihre Tasche neben die Tür und faßte nach der Klinke. Mit einem Ruck riß sie die Tür auf.
Minho saß unter einer Stehlampe in einem Korbsessel und schrieb in sein Tagebuch. Er hatte die Kladde auf den Knien liegen und benutzte einen Bleistift. Beim Aufklappen der Tür schnellte sein Kopf hoch. Das Tagebuch rutschte von seinen Knien, der Bleistift aus der Hand. Er starrte Sofia an, er sah sie und glaubte doch nicht, daß sie es war.
Erst, als sie sagte: »Mein Liebling!« und die Arme ausbreitete, löste sich die Erstarrung. Er schnellte aus dem Sessel empor, fiel ihr fast entgegen und riß sie so fest an sich, daß sie meinte, in der Mitte durchzubrechen. Sie schnappte nach Luft und schlang die Arme um seinen Nacken.
»Mein … mein …« Er fand keine Worte mehr. Er sah und fühlte sie, er spürte ihren Körper, ihren Atem, ihr Zittern. Sie ist es, sie ist es wirklich, nein, ich bin nicht verrückt geworden. Das sind ihre Augen, ihre Lippen, ihre Haare, ihr Körper. Sie ist gekommen.
Er küßte sie, und es war wie ein Versprechen. Er küßte ihre Lippen, ihre Augen, ihre Stirn, die Beuge ihres Halses und fand dann wieder zurück zu ihrem Mund, der halb geöffnet auf ihn wartete. Und dann weinte sie plötzlich, hing schluchzend an ihm, streichelte immer und immer wieder seinen Nacken, sah ihn unter Tränen an und sagte:
»Ich bin so glücklich, so glücklich. Ich liebe dich, Marco, ich liebe dich wahnsinnig, unsagbar –«
Und er drückte sie wieder an sich, küßte die Tränen aus ihren Augen und von den Wangen und konnte endlich
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