Das Reich der Dunkelelfen - Weltennebel
und Anspannung zitternd lehnte sich Aramia an die Wand der Schenke. Klare Gedanken konnte sie im Augenblick nicht fassen, und sie verfluchte das Blut ihres Vaters, das sie manchmal zu Überreaktionen neigen ließ. Eigentlich hatte sie diese während ihrer über zweihundert Sommer und Winter zu beherrschen gelernt, bei extremen Situationen jedoch, wenn es um Leben und Tod ging, brach der Kampfgeist der Dunkelelfen hervor – oder wie jetzt, wenn es um jemanden ging, der ihr sehr am Herzen lag. Krampfhaft bemühte sich Aramia, langsam ein und aus zu atmen, so wie Tagilis es sie gelehrt hatte, versuchte die brennende Eifersucht aus ihren Gedanken zu verbannen und nach einer logischen Erklärung zu suchen. Irgendetwas in ihr konnte das, was sie eben gesehen hatte, nicht glauben, wollte das Bild von Darian, wie er eine andere Frau küsste, weit von sich schieben.
Als sie eine Hand an der Schulter fasste, hätte sie dem Mann beinahe reflexartig ihren Dolch in die Seite gerammt.
»Verdammt, Atorian, kannst du mich nicht vorher ansprechen!«
Sichtlich verwirrt sah Atorian Aramia an und wich dann einen Schritt zurück.
»Was ist denn geschehen? Ist dir etwa jemand zu nahe getreten …« Erschrocken sah er sie von oben bis unten an, aber Aramia musterte ihn nur verächtlich, wobei sie flüchtig bemerkte, dass er ein blaues Auge hatte.
»Ich kann auf mich selbst aufpassen … Ich … Er …« Sie rang nach Worten, ihre Augen starrten in die von Atorian, und ehe dieser sich versah, begann sie ihn plötzlich leidenschaftlich und beinahe schon brutal zu küssen und gegen die nächste Häuserwand zu drängen. Zunächst blieb er stocksteif stehen, dann aber erwiderte er ihre heißen Küsse und hätte sich bestimmt völlig vergessen, hätte Aramia nicht urplötzlich innegehalten, ihn von sich gestoßen und gekeucht: »Nein, das wäre nicht richtig.«
Sie verschwand wie ein Schatten in der finsteren Gasse und ließ einen gänzlich verwirrten Atorian von Northcliff zurück.
»Kaya, nicht!« Mit sanfter Gewalt schob Darian die junge Frau von sich, die ihn mit leichter Enttäuschung ansah. »Ich habe jetzt eine Gefährtin.«
Kaya schnitt eine Grimasse. »Ja, diese Elysia, aber ganz offensichtlich hast du es ja vorgezogen, unterzutauchen.«
»Nein, Elysia habe ich verlassen. Aramia hingegen liebe ich wirklich und …« Er zögerte, denn von Leána wollte er lieber nichts verraten. »… wir waren schon vor Elysia ein Paar. Ich dachte nur, Aramia wäre tot.«
»Hmm.« Die junge Frau zupfte sich ihre beigefarbene Bluse zurecht. »Schade, ich dachte, jetzt wärst du frei, aber wenn du die andere Frau wirklich liebst …« Sie grinste verschmitzt. »Ich hätte nichts dagegen gehabt, dieses eingebildete Sumpfhuhn von Elysia zu betrügen, selbst wenn ihr einen gemeinsamen Sohn habt.«
»Kayne ist nicht von mir.«
Nun riss Kaya ihre großen dunklen Augen auf. »Ja, von wem denn dann? … Das ist … Das wäre ja … ein Skandal!«
»Ich weiß es nicht«, Darian atmete tief aus, »aber das spielt im Augenblick auch keine Rolle. Ich habe eine ganz andere Frage an dich, Kaya. Du hast mir damals, na ja, du weißt schon …« Auf Kayas Gesicht zeigte sich ein verschmitztes Grinsen, von dem sich Darian jetzt aber nicht mehr aus der Fassung bringen ließ. »Du hast mir erzählt, du hättest einen dunkelelfischen Freund. Meine Gefährten und ich müssen ins Reich der Dunkelelfen reisen.«
Jetzt starrte Kaya Darian an, als hätte er nicht alle Sinne beisammen. Sie rutschte wieder näher zu ihm heran und legte ihm ihre Hand auf den Arm. »Darian, kein Mensch kann einfach ihr Reich betreten. Selbst Bas’Akir, mit dem ich wirklich gut befreundet bin – so weit man das mit einem Dunkelelfen überhaupt sein kann –, hat mich niemals mitgenommen, weil er wusste, dass ich dort nicht geduldet würde und dass sie mich, ohne auch nur einen Gedanken zu verschwenden, töten würden.«
Dies waren keine verlockenden Aussichten, aber Darian blieb hartnäckig. »Wir müssen nur den Eingang zu ihren Städten finden, dann kommen wir zurecht.«
»Niemals! Ihre Tunnelsysteme sind dunkler als die finsterste Nacht, hat Bas’Akir gesagt, und jeder Mensch würde sich hoffnungslos dort verirren.«
»Meine Gefährtin besitzt Dunkelelfenblut«, verriet er nun leise.
Das versetzte Kaya ganz offensichtlich in großes Erstaunen. Sie stützte ihren Kopf in die Hände, runzelte die Stirn und meinte nach einer Weile: »Gut, ich bin dir noch etwas schuldig, weil du
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