Das Reich der Elben 01
sahen.«
»Dann wäre es vielleicht nicht besonders klug, ihn zu wecken«, lautete Merandils leise gesprochener Kommentar.
Nachdem die Verletzten versorgt waren, machten sich die Elben an die nächste Etappe. Die Äfflinge zeigten sich nicht mehr. Offenbar zogen sie es vor, erst einmal irgendwo ihre Wunden zu lecken.
Jenes Geräusch, dass Lirandil als das Schnarchen des Nachtjägers gedeutet hatte, begleitete die Elben jedoch auch weiterhin. Zeitweilig wurde es stärker, dann wieder klang es wie röchelnder Atem. Auch die Tonhöhe variierte; manchmal sank es herab zu einem Brummen, so tief, dass die Elben
spürten, wie unter ihren Füßen der Boden leicht vibrierte. Auf einmal setzte das Geräusch nach einem japsenden Schnapplaut aus.
Prinz Sandrilas wandte sich mit fragendem Blick an Lirandil.
»Ich will nicht hoffen, dass dies Böses zu bedeuten hat.«
»Ganz gewiss nicht.«
»Ach?«, fragte Thamandor. »Ihr habt uns doch die Vorstellung eines schnarchenden Riesenvogels gegeben und versucht, uns damit Angst einzujagen.«
»Angst wollte ich sicherlich niemandem machen«, verteidigte sich Lirandil. »Und ich weiß nichts über die Art dieses Nachtjägers, noch kenne ich irgendeine seiner Gewohnheiten. Aber ich gehe davon aus, dass diese Kreatur denselben Gesetzmäßigkeiten folgt wie jedes andere Tier.«
»So denkt Ihr, das Verhalten dieses Schattengeschöpfs vorhersagen zu können?«, fragte Thamandor misstrauisch, und die Art, wie er es fragte, machte klar, dass er Lirandil diese Fähigkeit nicht zutraute.
»In gewissen Grenzen, ja«, antwortete der Fährtensucher.
»Ich nehme an, dass die Kreatur noch immer schläft, doch ihr Schlaf ist etwas ruhiger geworden und auch tiefer, sodass ihr Schnarchen und Schnauben verstummt sind.«
»Ich hoffe nur, dass Ihr recht damit habt«, flüsterte Prinz
Sandrilas.
Er sah den Fährtensucher verwundert an, als Lirandil entgegnete: »Wer sagt Euch, dass dieses Wesen unser Feind ist?«
Die noch etwa vierzig Angehörigen des Elbentrupps, der, angeführt von Prinz Sandrilas, den König suchte, gelangte schließlich auf jene Terrasse vor dem Maultor des gewaltigen Affenkopfes, der die Bergkuppe bildete.
Beeindruckt – aber auch jederzeit bereit, sich zu verteidigen – schritten die Elben zwischen den Säulen hindurch, die wie die Hauer eines Äfflings geformt waren. Sie hatten offenbar vor unendlich langer Zeit als Stelen gedient. In den Stein gehauene Schriftzeichen legten Zeugnis davon ab. Zeichen, die vermutlich niemand mehr lesen konnte. Stumme Hinterlassenschaften einer Epoche, in der die Äfflinge eine hohe Kulturstufe eingenommen hatten.
Durch das Maul des steinernen Affenkopfes gelangten sie in einen Tunnel, der mindestens zehn Elbenschiffe lang war. An seinem Ende konnte man einen strahlend blauen Himmel sehen. Nebel schien dort nicht zu herrschen.
Sie schritten durch den tunnelartigen Stollen. Die Wände, die Decke und der Boden bestanden aus glattem Fels, doch an den Steinwänden befanden sich farbige Reliefs, die direkt in den Stein geschlagen waren, und Kolonnen von Schriftzeichen. Lirandil der Fährtensucher war davon geradezu fasziniert. Das wenige Licht, das in den Stollen fiel, reichte für seine scharfen Augen, dennoch trat er dicht an die Wand und berührte mit der Hand die leichten Erhebungen der steinernen Bilder, die vor langer Zeit von großen Künstlern geschaffen worden waren; dass es sich dabei tatsächlich um die Vorfahren der Affenartigen gehandelt hatte, konnte sich der Fährtensucher jedoch nach wie vor kaum vorstellen.
»Es muss hier irgendeinen Zugang zum Inneren des Berges geben«, war Prinz Sandrilas überzeugt. Schließlich hatte er gesehen, wie Hyrandil in diesen Tunnel verschleppt worden war. Er war zusammen mit seinen Entführern verschwunden. Sandrilas zog Düsterklinge, in der Erwartung, dass ihm aus jeder der nachtdunklen Nischen ein angreifender Äffling anspringen könnte.
Aber dem war nicht so. Kein einziges dieser Wesen ließ sich blicken. Stattdessen scheuchten die Elbenkrieger unabsichtlich
einen Schwarm Fledermäuse auf, der sich plötzlich mit schrillen, für Elben aber gerade noch hörbaren Schreien von der Decke löste und ins Freie flatterte. Für einen Moment schien überall das Schlagen lederiger Flügel zu sein, nachtschwarze Kreaturen umschwirrten die Elben, ohne jedoch einen einzigen von ihnen zu berühren, dann waren die kleinen Tiere draußen, und der kurze Spuk war vorbei.
Prinz Sandrilas schritt voraus und führte den
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