Das Reich der Katzen (German Edition)
sind nur ein Teilaspekt des ganzheitlichen Seins«, las sie
vor.
»Hm«, meinte Fleur. »Hört sich alles sehr theoretisch an. Damit
hab ich es nicht unbedingt. Bin mehr Praktikerin.«
»Das hast du schon oft genug unter Beweis gestellt«, frotzelte
Ben. »Ich frage mich nur, wie das mit der Seelenwanderung gehen soll.« Er
grinste. »Eine geile Vorstellung.«
Onisha schnaubte empört. Sie mochte es nicht, wenn er so sprach.
»Wenn du weniger Kraftausdrücke verwenden und dafür lieber dein Hirn
einschalten würdest, wüsstest du es bereits.« Sie tippte mit der Pfote auf das
Pergament.
Dort stand geschrieben:
WENN ALSO DER TOD
AN UNS HERANTRITT
STIRBT NUR
WAS STERBLICH IST
DAS UNSTERBLICHE ABER
ENTGEHT DEM TOD
»Ich werd nicht mehr ... Das heißt im Klartext, dass wir nach dem
Tod unseren Körper verlassen und die Seele zu jedem beliebigen Zeitpunkt in
einem anderen Körper Gestalt annehmen kann.« Bens Stimme hallte schaurig von
den Wänden wider.
»Ein unheimlicher Gedanke.« Onisha sah Fleur an.« Du hast Recht,
wer weiß, wer in uns sein Unwesen treibt?« Fleur zwinkerte Ben zu. »Vielleicht
auch in dir?«
»Oder in Twinky. Vielleicht ist sie deswegen so zickig!«, raunte
Rocky ihnen zu. Onisha glaubte nicht richtig zu hören. Der Angsthase wuchs noch
über sich hinaus!
Aber der Gedanke, den Ben jetzt laut aussprach, war viel
interessanter: »Ob Bastets Geist und ihre Seele tatsächlich in einem unserer
Körper zu neuem Leben erwachen? Oder es vielleicht sogar schon sind?«
Die weiteren Thesen des Pergaments sagten das zumindest aus.
Onisha beeindruckten am meisten die Schilderungen über den Kult des
Sonnengottes Re, des Gatten der Katzengöttin Bastet. In Onishas Fantasie
entstand ein Reich, in dem es keine Krankheiten und Kriege gab. Dort herrschte
die Sonne, das Licht und gegenseitiges Verständnis. Ein Reich der Fröhlichkeit und
des Friedens, in dem allerdings nur Auserwählte Platz fanden.
War es das Reich der Katzen?
Onisha fühlte in dem Moment, als sie sich die Frage stellte, dass
das die Antwort war. Aber sie warf auch sofort die nächste Frage auf: Wie
gelangte man dorthin? Und vor allem: Waren sie überhaupt auserwählt? Für sich
wagte Onisha das zu bezweifeln. Sie hatte in ihrem bisherigen Leben nichts
Besonderes zustande gebracht. Im Gegenteil, sie war eine der privilegierten
Katzen gewesen, die sich eher ihres Lebens schämen musste, als zu einem
besonders auserwählten Kreis zu gehören. War verwöhnt und umsorgt worden. Hatte
sogar auf andere Katzen herabgesehen. Und Fleur hatte ein wildes Leben hinter
sich. Mit aufmüpfigem Verhalten und persönlichen Kleinkriegen. Auch nicht
unbedingt ein Aushängeschild. Von Ben und seinen Freunden wusste Onisha wiederum
nicht genug, um sich ein Urteil zu erlauben.
Rouven hätte es verdient, dachte sie voll Trauer. Würde sie ihn
im Reich der Katzen wiedersehen, vorausgesetzt, sie würde jemals dorthin
kommen? Würde auch seine Seele wiedererweckt?
Allein die Möglichkeit hatte etwas ungeheuer Tröstliches.
Fleur stieß sie unsanft in die Seite. »Da, lies!«, wisperte sie.
Der letzte Abschnitt der Aufzeichnungen wartete mit einem
Knalleffekt auf. Dort stand in fetten Lettern:
VALENTIN BEKLEIDET DAS AMT
DES GRÖSSTEN SCHAUENDEN
»Valentin«, rief Fleur erregt aus. »Valentin ist der Schlüssel.
Er kann uns helfen. Er muss uns einfach helfen!«
»Ja, ja«, sagte Ben ungeduldig. »Doch lies erst einmal weiter!«
Fleurs Pfote fuhr über das knochentrockene Pergament. Und da standen die
Schlussworte. Die Botschaft an sie, die die Reinkarnation schwarz auf weiß
festhielt. Sie allen Zweiflern vor Augen hielt. Bastet schrieb:
ICH BIN DAS HEUTE
ICH BIN DAS GESTERN
ICH BIN DAS MORGEN
MEINE WIEDERHOLTEN GEBURTEN DURCHSCHREITEND
BLEIBE ICH KRAFTVOLL UND JUNG
MEIN GEIST IST EIN KLEINER TROPFEN
DER GÖTTLICHEN QUELLE
ALS SOLCHES IST ER UNVERGÄNGLICH UND EWIG
DENN DIE SEELE KANN NICHT AUSGELÖSCHT WERDEN
DIE MEINE NACHFOLGE ANTRITT
HÜTE SICH VOR DEM DÄMON DER UNTERWELT
ER KOMMT DAHER IM HÜBSCHEN GEWAND
»Damit ist Lavina gemeint«, rief Fleur aufgeregt. »Damit kann nur
sie gemeint sein!«
»Woher willst du das wissen?«, schnarrte Twinky. »Göttliche
Eingebung?«
Fleur ignorierte das zänkische Verhalten der Schildpattkatze.
»Dafür, dass du eine Glückskatze sein sollst, hast du ein ziemlich loses
Mundwerk, Twinky. Und Glück gebracht hast du uns bisher auch nicht. Könntest du
deine Energie
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