Das Reich der Katzen (German Edition)
mehr. Valentin und ich verlassen uns auf euch.«
Sein Tonfall duldete keinen Widerspruch und Onisha spürte, dass
er es todernst meinte. Sie sah Fleur verschwörerisch an und trat zur Seite.
Ließ Ben und Valentin einfach vorbei. Fleur glaubte ihren Augen nicht zu
trauen. »Was soll das?«, zischten sie Onisha zu.
»Alles nur eine Frage der Taktik.« Onisha blickte Ben und
Valentin, die sich Rouven als Begleitung ausgesucht hatten, hinterher. Der
Kater hatte sich völlig erholt und konnte auch sein verletztes Bein wieder
belasten. Dem flüchtigen Betrachter wäre nicht einmal aufgefallen, dass er
leicht hinkte.
Die drei Kater verschwanden hinter der ersten Klostermauer. Im
selben Moment, als hätte sie nur darauf gewartet, drehte sich Onisha zu Fleur
herum. »Wir erzählen den anderen, dass wir die Zeit nutzen wollen, um dem Friedhof
noch einmal einen Besuch abzustatten. Und dann schleichen wir den Jungs
hinterher.«
»Glänzende Idee.« Fleur war sofort Feuer und Flamme. Dann verzog
sie das Gesicht. »Aber was ist mit Blackbird? Wenn er sich mit seinem Federvieh
in die Lüfte erhebt, hat er uns schnell im Blick.«
»Verflixt, den habe ich völlig vergessen.« Onisha dachte einige
Minuten angestrengt nach. »Wir müssen ihn irgendwie beschäftigen. Fragt sich
nur, wie ...« Ihr Gesicht hellte sich plötzlich auf. »Ich habs!«, frohlockte
sie. »Komm mit!«
Onisha spielte vor der Krähe die Besorgte. » Ich mache mir große
Sorgen um die drei«, sagte sie. »In mir erwächst ein Gefühl großer Gefahr ...«
Sie stockte. Das war kein Schauspiel mehr. Sie spürte tatsächlich eine Gefahr.
Und die stand unmittelbar bevor. In dem Augenblick, in dem Onisha glaubte, eine
unsichtbare Faust hätte sie in die Magengrube geschlagen und ihr die Luft zum
Atmen genommen, krümmte sich auch Fleur und schrie leise auf.
»Sie sind in Gefahr, Onisha!«
»Ich weiß«, schrie diese in Panik.
»Was ist los?«, fragte Blackbird alarmiert.
Onisha gab ihm und den Katzen ein Zeichen. »Wir müssen
schleunigst zu der Kirche. Ben und Valentin brauchen unsere Hilfe!«
Sie preschten los. Onisha fragte sich, warum sie nur Ben und
Valentin erwähnt hatte. Was war mit Rouven? Warum sorgte sie sich nicht um ihn?
Die blutige Antwort wartete auf sie im Innenhof des Klosters.
Twinkys Schrei würde nie wieder aus Onishas Gedächtnis verschwinden. Am
liebsten hätte sie mit eingestimmt. Doch ihr Blick hing an einem Punkt fest.
Einem grauenhaften Monument brutaler Gewalt. Sie fragte sich, wer es
aufgestellt hatte, denn bisher hatte die Latte, die an einen Marterpfahl
erinnerte, nicht neben dem Brunnen gestanden. Jetzt war sie jedenfalls da und
daran hingen Rouvens sterbliche Überreste.
»Sie hat ihn an die Latte geschlagen, wie ...« Fleur brach ab.
Onisha spürte die unbändige Wut ihrer Freundin und teilte sie.
Die Blutrinnsale, die das Holz des Pfahles hinabliefen, und
Rouvens gebrochene Augen prägten sich unauslöschlich in Onisha ein. Ebenso wie
der Odem des Bösen. Die eisige Luft des Todes schwebte wie eine unheilvolle
Wolke über dem Kloster. Onisha taumelte. Schwäche befiel sie. Neben ihr
schluchzte Twinky und Fleurs Augen waren vor Schock so groß wie Suppenteller.
Blackbird ließ sich auf dem Pfahl nieder, seine gefiederten Freunde im
Halbkreis darunter und verharrten regungslos. Hielten eine eindrucksvolle Totenwache.
Mit aller Gewalt riss sich Onisha von dem Anblick los. Sie schaute Corey an und
erblickte in den Augen des alten Katers hilflosen Schmerz. Du musst dich
zusammenreißen, mahnte sich Onisha. Sie nickte Corey zu. »Lass uns gehen.« Mit
einem kurzen Seitenblick wollte sie auch Fleur auffordern, ihr zu folgen. Aber
das war unnötig. Die Freundin hatte sich schon in Bewegung gesetzt. »Bringen
wir es hinter uns!«, sagte Onisha leise und warf dem Pfahl einen letzten Blick
zu. »Und wenn wir zurückkehren, nehmen wir dich da runter, mein Freund.«
Wie ein kleiner Trauerzug schlichen sie mit gesenkten Köpfen auf
die Kirche zu. Onishas Spannung wuchs Schritt für Schritt. Ebenfalls die Angst
um Ben. Und um Valentin. Aber da war noch ein Gefühl in ihr. Eines, das sie nachhaltig
und energisch zur Vorsicht aufforderte. Gefahr lag in der Luft. Und als Onisha
die oberste Kirchenstufe erreichte und das Portal einen Spaltbreit offen stehen
sah, läuteten alle Alarmglocken in ihr.
»Das sieht mir aber verdammt nach einer Falle aus«, wisperte ihr
Fleur zu. Onisha sah sie ernst an. Fleur verstand ihren Blick. Sie holte
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