Das Reich der Katzen (German Edition)
Onisha
seufzte. Sie hatte sich beinahe schon daran gewöhnt, von Traumbildern verfolgt
zu werden. Uto gab ihr nicht die Gelegenheit, weiter darüber nachzudenken. Sie
wiegte ihren Schlangenkörper zu einer imaginären Musik und wiederholte: »Sucht
den Thron der BASTET. Eure Seelen müssen zum Himmel fliegen, sich vereinigen
und wiederkehren.«
Onisha schrie empört auf. Sie wusste, was das bedeutete. Damit
ihre Seele in den Himmel fliegen konnte, musste sie sterben. Und das hatte sie
ganz und gar noch nicht vor! Dafür war sie eindeutig noch zu jung. Sie wollte
raus aus diesem Traum. Wollte Uto und den Falkengott aus ihrem Unterbewusstsein
vertreiben. Aber dann wurde ihr bewusst, dass auch Uto von mehreren möglichen
Nachfolgern gesprochen hatte.
»Wen meinst du mit euch, Uto?«, wollte sie wissen.
Die Schlangengöttin öffnete den Mund um ihr zu antworten, wurde
aber von dem Falkengott gestoppt. »Sie werden es früh genug erfahren!«, sagte
er gebieterisch. »Sie weiß nun, dass ihre Seele zum Himmel fliegen muss! Das
genügt!« Er machte eine herrische Handbewegung und entließ Onisha abrupt aus
der Traumwelt.
Onisha wusste nicht, warum, aber sie erzählte niemandem von dem
Traum. Nicht einmal Fleur. Denn sie fragte sich schon seit geraumer Zeit, warum
immer nur sie diese Träume hatte. Der Grund liegt doch auf der Hand, wisperte die unheilvolle Stimme, du bist Bastets Nachfolgerin. Du und keine
andere! Onisha hätte am liebsten laut aufgelacht. Sie fühlte sich
keineswegs göttlich. Wenngleich sich, seit sie den Stein trug, ihre Sinne
geschärft hatten. Und ihr Denken und Handeln mit der verhätschelten Katze, die
zusammen mit Sascha von Hohenberg das Penthouse bewohnte, nichts mehr gemein
hatte.
Aber war das genug?
Wohl kaum, gab sie sich selbst die Antwort. Onisha räkelte sich
wohlig. Sie lag dicht neben Ben, der anscheinend ebenfalls träumte. Und
keineswegs angenehm, denn er gab merkwürdige Laute von sich, die nicht gerade
fröhlich klangen. Er brummte und knurrte wie eine Gruppe Panther und fletschte
sogar einige Male die Zähne. Seine Krallen fuhren ein und aus und Onisha fragte
sich, wen er wohl gerade bekämpfte
Auch Twinky regte sich, blinzelte verschlafen mit den Augen und
setzte sich auf. Sie sah, dass auch Onisha wach war, und deutete mit dem Kopf
in Bens Richtung. »Er scheint nicht unbedingt tolle Träume zu haben. Aber wer
kann es ihm verdenken, wenn man ihm so plötzlich den besten Freund wegmordet.«
Ihre sonst so nervende Stimme hatte etwas mitleidvoll Warmes.
Sie ist tatsächlich verknallt in ihn, schoss es Onisha durch den
Kopf. Sie erhob sich, streckte sich einmal genüsslich und setzte sich neben
Twinky. »Ich kannte Rouven zwar nicht so lange wie du, aber er war ein prima
Kerl!«
»Das war er!« Twinky senkte den Kopf. »Und er hat selbst durch
seinen Tod noch etwas Positives bewirkt « Sie lächelte traurig. »Mit Rocky ist
eine ziemlich Wandlung vor sich gegangen. Er ist nicht ein einziges Mal
ohnmächtig geworden und ist beinahe schon mutig.«
Onisha warf einen Blick auf den schlafenden Kater. »Er wird noch
ein wahrer Held«, sagte sie ohne rechte Überzeugung.
Twinky schien das zu spüren. »Du hast etwas auf dem Herzen, nicht
wahr?«
Onisha sah sie erstaunt an. So viel Feingefühl hätte sie der
kapriziösen Katze nicht zugetraut. Sie sah das kleine bunte Gesichtchen mit der
roten herzförmigen Maske und den mandelförmigen Augen. Twinky war zweifellos
eine Schönheit. Und wenn Onisha bisher der Meinung gewesen war, dass diese
Schönheit nur rein äußerlich war, sah sie sich getäuscht. Twinky strahlte sehr
wohl auch von innen etwas aus.
»Willst du darüber reden?«, fragte sie mit gedämpfter Stimme, um
die anderen nicht zu wecken.
Onisha zögerte. Bisher war ihr Twinky nicht geheuer, nein,
berichtigte sie sich, die Schildpattkatze war ihr stockunsympathisch gewesen.
Aber sie erkannte plötzlich, dass ihre Antipathie einen bestimmten Grund hatte.
Und der hieß BEN. Sie sah Twinky an und verzog das Gesicht. »Bevor ich aus dem
Nähkästchen plaudere, möchte ich eins klarstellen: Ben war derjenige, der mir
nachgestiegen ist, nicht ich ihm.«
In Twinkys Augen war plötzlich so viel Wärme, die Onisha den
Zweifel nahm, ein heikles Thema angeschnitten zu haben. »Ich weiß. Ben ist ein
Hallodri. In dem Augenblick, als er dich sah, wollte er dich.« Sie grinste
spitzbübisch. »Aber du wirst nicht die Letzte bleiben.«
»Das ist mir klar.« Onisha grinste zurück.
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