Das Reich der Katzen (German Edition)
ab. Kreisten nur um
die Mumien der Königinnen und Göttinnen. Sie waren sanfte Naturen. So wie die
fröhliche Katzengöttin Bastet. Von ihnen drohte keine Gefahr. Das meinte Onisha
zu spüren. Weshalb wollte Neith sie also aus dem Tal der Königinnen vertreiben?
Onishas Gedanken schweiften wieder zu den Wandverzierungen der ersten Pyramide.
Sie hatten den Reliefs schon einiges entnehmen können. So hatte der Mann in der
untergegangenen Kultur rote und die Frau gelbe Gesichtsfarbe. Das sind Ben und
Fleur, dachte Onisha und maßlose Enttäuschung breitete sich in ihr aus. Die
beiden werden in das Reich der Katzen aufgehen, anders kann es nicht sein. Auf
eine Katze ihrer Herkunft war nirgends ein Hinweis gewesen. Onisha seufzte. Sachmet,
Sachmet , flüsterte es hinter ihrer Stirn. Als wolle die Stimme ihr neuen
Mut geben. Sie auffordern zu kämpfen. Um einen Platz im neuen Katzenreich.
Bei Einbruch der Dunkelheit gingen sie weiter. Die Sonne war
untergegangen und hatte die drückende Hitze mitgenommen. Die Katzen bewegten
sich mit hängenden Köpfen auf die nächste Pyramide zu. Der anfängliche Elan war
ihnen, seit ihnen Neith erschienen war, abhanden gekommen.
Sie näherten sich wieder dem Nil. Die Luft wurde feucht und
dunstig. Bald sahen die Freunde nur die Schemen der anderen. Manchmal sogar
nicht einmal die. Onisha dachte an die vielen Toten, die in diesem Tal in all
den Steinbauten eingeschlossen waren. Ob wohl einige von ihnen sogar lebendig
eingemauert worden waren? So abwegig schien ihr der Gedanke nicht zu sein. Auf
diese Art und Weise würde man doch elegant seine Feinde los. Ohne Spuren zu
hinterlassen. Onisha wurde schlecht bei dem Gedanken. Sie dachte an eine
Wandmalerei, die gezeigt hatte, dass der hohe Würdenträger, der in der Szene
bestattet wurde, seine Witwen, zehn an der Zahl, mit ins Grab genommen hat.
Vorher wurden die jungen Frauen festlich geschmückt, es gab gutes Essen und
Wein, in dem ein schweres Schlafmittel aufgelöst war. Als die Frauen hilflos
vor sich hindämmerten, wurden sie erwürgt und mit ihrem verstorbenen Mann zu
Grabe getragen. Nein, dachte Onisha, das wäre für mich schon ein Grund gewesen,
nicht zu heiraten.
Nebel waberte um sie. Nahm ihr beinahe völlig die Sicht. Inmitten
des grauwattigen Gespinstes konnte sie eine sich schlängelnde Gestalt erkennen.
Uto!
Und diesmal war es kein Traum. Die Schlangengöttin erschien ihr
wirklich. Onisha drehte den Kopf herum.
Wo war Fleur?
Von der Freundin war weit und breit nichts zu sehen. Na toll,
dachte Onisha, wenn man sie braucht, ist sie nicht zur Stelle.
Uto lachte. »Du hast wohl Angst vor mir, dass du so verzweifelt
nach deiner Freundin Ausschau hältst. Aber ich kann dich beruhigen. Von MIR
geht keine Gefahr aus.«
»Soooo?«, fragte Onisha keineswegs überzeugt. Etwas in ihrem
Unterbewusstsein, das Mosaiksteine ihrer Träume gespeichert hatte, sagte ihr,
dass Uto nicht immer die freundliche Göttin gewesen war.
Uto schien ihre Gedanken zu lesen. Sie lächelte geheimnisvoll.
»Wenngleich das früher nicht der Fall war. Ursprünglich war ich eine
hinterhältige Viper und verströmte meinen gefährlichen Feueratem. Nichts war
vor mir sicher.« Sie kicherte in Erinnerung an ihre ehemaligen Schandtaten.
»Der Sonnengott Re trug mich als ‚Auge‘ auf seiner Stirn.« Sie kicherte wieder.
»Mir entgeht nämlich nichts .« Schlagartig wurde sie ernst. »Re war es
dann auch, der mir nahelegte, meine Weltanschauung zu ändern. Und ich muss
sagen, es macht weitaus mehr Spaß, Gutes zu tun als anderen Lebewesen Schaden
zuzufügen.«
»Was willst du von mir?«, wollte Onisha wissen. Die
Schlangengöttin war ihr nicht geheuer.
»Nichts Bestimmtes.« Uto lachte. »Ich wollte dir nur meine Hilfe
anbieten. Wenn du mich einmal nötig brauchst, ruf mich. Aber überleg es dir
gut: Ich kann dir nur einmal helfen.«
»Warum willst du mir überhaupt helfen?«
Utos Lachen schwoll an. »Weil ich die Schutzgöttin bin, du dumme
Katze. Und nun muss ich gehen. Du bist nicht die Einzige, die dringend Hilfe
benötigt.«
»He, warte, sonst hast du mir nichts zu sagen?«
Uto drehte sich noch einmal herum. Das Lächeln auf ihrem Gesicht
war verschwunden. »Hütet euch vor dem Dämon mit den scharfen Krallen.«
Und Onisha war sich sicher, dass Uto damit nur Lavina meinen
konnte.
Onisha erzählte ihren Freunden nichts von der Begegnung. Aber vor
Fleur konnte sie nichts verbergen. Die Freundin las in ihren Gedanken wie in
einem
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