Das Reich der Katzen (German Edition)
rief Fleur besorgt.
Onisha blieb verdutzt sitzen und rappelte sich dann auf. Bevor
sie antworten konnte, erklang eine unangenehm hohe Stimme über ihren Köpfen.
»Wie schade. So einen fetten Braten hatte ich schon lange nicht
mehr.«
Onisha drehte sich empört um. Wer hatte es gewagt, sie fett zu
nennen? Wo sie doch so sehr auf ihre schlanke Linie achtete und nur Mäuse light
zu sich nahm.
Von einem Felsvorsprung baumelte eine überdimensionale
Kreuzspinne. Grinste die Freunde hämisch an.
»Das hat uns gerade noch gefehlt«, keuchte Valentin. »Als ob wir
noch nicht genug Schwierigkeiten hätten.«
»Was soll denn an einer ollen Spinne gefährlich sein.« Twinky
schien nicht im Geringsten beeindruckt.
»Immerhin symbolisiert die Kreuzspinne den Tod.«
Valentins Satz schwebte über ihnen wie ein Damoklesschwert.
»Und sie hat das nette, kleine Netz da gewoben, in dem sich
Onisha verfangen hat.« Blackbird kam herbeigeflattert.
Onisha blickte ihn warm an. »Ich verdanke dir mein Leben«, sagte
sie leise.
»Papperlapapp, so schlimm sah es noch nicht aus.«
Onisha wusste, dass das gelogen war, aber sie sagte nichts mehr.
Blackbird und sie wussten, dass er ihr das Leben gerettet hatte, und das
genügte.
Sie gingen weiter. Stiegen den Abhang hinab. Rocky setzte sich
einige Mal auf den sprichwörtlichen Hosenboden und rutschte ein Stück hinab.
Das letzte Stück des Weges brachte er fast nur so zu. Rutschte mehr, als er
ging, und wäre beinahe an einem dicken Baum gelandet. Erst im letzten Moment
gelang es Ben, Rocky an der Halskrause zu fassen und festzuhalten.
Sie setzten sich im Halbkreis um den Baum herum und bestaunten
ihn ungläubig. Schweigend erfreuten sie sich an der mystischen Erscheinung.
Onisha hatte noch nie etwas Schöneres gesehen. Vor dem pilzförmigen Baum mit
den winzigen wohlgeformten Blättern saß ein Mann und beschriftete das
Blattgrün. Er trug ein bis zum Boden reichendes weißes schmuckloses Gewand und
eine kunstvolle helmartige Krone, auf der zwei längliche Höcker prangten. Mit
einem feinen Stift schrieb er mit unglaublich kleiner und schön geschwungener
Schrift Namen auf die Blätter.
»Der Heilige Baum«, entfuhr es Valentin.
Selbst Twinky zeigte sich beeindruckt. »Das sieht wunderschön
aus«, sagte sie und blickte Valentin fragend an. »Was hat das zu bedeuten?«
Ihnen war es längst in Fleisch und Blut übergegangen, Valentin zu
befragen. Er wusste auf alles eine Antwort. Und auch in diesem Moment. Er
nickte einige Male, bevor er etwas erwiderte. »Er schreibt die Namen der Könige
und Königinnen auf, um ihnen ewige Dauer zu verleihen.«
»So wie ewiges Leben?«, wollte Twinky wissen.
Das hatten wir doch schon mal, dachte Onisha, da leuchten deine
Augen gierig, Glückskatze. Und auch Fleur warf der Schildpattkatze einen
strafenden Blick zu, der so viel wie
»Das-würde-dich-wohl-brennend-interessieren« bedeuten mochte.
Aber Twinky ignorierte ihn lässig.
Valentin sprach weiter. Für ihn waren die Streitgespräche und
kleinen Seitenhiebe der Kätzinnen Kinderkram, dem er keine Beachtung schenkte.
Es gab viel wichtigere Dinge im Leben. »Ich frage mich bloß, warum er uns gerade
an dieser Stelle erscheint.«
»Willst du damit andeuten, der Heilige Baum erscheine
x-beliebigen Personen an x-beliebigen Orten?«, fragte Twinky entgeistert.
»So simpel hätte er es sicherlich nicht ausgedrückt«, murrte Ben.
»Es ist doch egal, wie er es ausgedrückt hätte, wichtig ist nur,
ob ich Recht habe.«
»Das hast du«, bestätigte Valentin. »Ich frage mich nur, warum
jetzt und hier.«
Blackbird drängte sich in den Vordergrund. Als Onisha ihn ansah,
riss sie die Augen auf. Die Krähe war größer geworden und hatte ein
menschliches Gesicht. Sie wollte etwas sagen, die Freunde darauf aufmerksam
machen, schalt sich jedoch im selben Moment eine Idiotin, denn die anderen
mussten ja ebenfalls sehen, welche Veränderung mit Blackbird vor sich gegangen
war. Merkwürdigerweise sagte niemand etwas. Onisha sah Fleur eindringlich an.
Hörte, wie Blackbird zu Valentin sagte: »Sieh einfach nur hin, wessen Namen er
schreibt, und du wirst wissen, warum er uns jetzt erscheint.«
Onisha wandte den Blick von Fleur zu Blackbird und war nicht
erstaunt, dass die Krähe wieder der Vogel war, den sie alle kannten. Sie
musterte ihn noch eine Weile. Für sie stand unumstößlich fest, dass er ein Ba
war. Dass eine alte ägyptische Seele in ihm schlummerte. Daher wusste er so
viel. Alles ergab
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