Das Reich der Katzen (German Edition)
Lucky.
»Was stellst du dich denn so an? Schlimmer wäre es doch, wenn es
Katzengebeine wären. Schwächel also hier nicht rum«, wies ihn Twinky zurecht.
Lucky riss die Augen auf und starrte Twinky an. Sonst schlug sie
ihm gegenüber freundlichere Töne an. Onisha grinste. Auch du, mein Freund,
lernst unser Schandmaul kennen, dachte sie. Jedoch ohne jede Spur von Schadenfreude,
denn Lucky war ein so lieber Kerl, dem konnte sie einfach nichts Böses
wünschen. Onishas Blick wanderte zu Rocky. Der schwankte schon verräterisch,
hielt sich aber noch tapfer auf den Pfoten.
»Der Opfertischsaal hat es aber in sich«, meinte Ben. Er hatte
schon viel in seinem Leben gesehen, aber das war die Härte schlechthin. »Da
haben die nicht nur locker ihre eigenen Leute geopfert, sondern sie auch noch
verspeist.« Er schüttelte sich.
Fleur sah Onisha an. Die spürte genau, was die Freundin fühlte:
Ekel.
»Lasst uns von hier verschwinden«, schlug Fleur vor.
Doch Blackbird war da anderer Ansicht. »Der Skarabäus hat uns
deutlich auf diesen Saal hingewiesen. Hier muss ein wichtiger Hinweis verborgen
sein.« Er hüpfte von dem Steinvorsprung, auf dem er gesessen hatte, und
flatterte in eine Nische.
Onisha sah ihn dort in der Dunkelheit herumhüpfen. »Was sucht der
Kerl da eigentlich?«
»Weiß ich auch nicht, aber wir sollten ihm helfen und die anderen
Nischen untersuchen.«
Fleur sah sich um. »Rocky und Lucky, ihr bleibt hier und haltet
uns den Rücken frei.«
»Brillanter Schachzug«, flüsterte Onisha ihr zu. »Die beiden
Angsthasen wären uns sowieso keine große Hilfe.«
Sie hatten Stunden damit zugebracht, zwischen den Gebeinen zu
wühlen. Hatten ihren Abscheu überwunden und zu guter Letzt nichts gefunden. Das
hob die Stimmung unter den Katzen nicht unbedingt.
»Wir müssen etwas übersehen haben«, ließ Ben verlauten.
»Ach ja, und was? Wir haben auch den kleinsten Stein umgedreht.
Es gibt in dieser verdammten Kammer nicht ein Sandkorn, das wir nicht untersucht
haben. Und da meinst du allen Ernstes, wir hätten etwas übersehen?«, pflaumte
ihn Twinky an.
»Es bringt nichts, wenn ihr euch jetzt auch noch in die Haare
kriegt«, versuchte Blackbird den Streit zu schlichten.
»Ach, sieh an, Mister Geheimnisvoll meldet sich zu Wort. Du hast
es gerade nötig. DU hast uns auch noch längst nicht alles verraten«, schnauzte
Onisha die Krähe an.
Blackbird blickte verdutzt aus den Federn und stieß dann ein
amüsiertes Kreischen aus. »Madame Hochwohlgeboren hat aber 'ne schöne
Kotterschnauze bekommen. Sieh an, sieh an.«
»Aber sie hat Recht. Du verbirgst etwas«, sagte Fleur ruhig und
sah Blackbird ernst an.
Der hielt dem Blick ohne mit der Wimper zu zucken stand. »Es
stimmt«, gab er ohne Umschweife zu. »Aber es ist noch nicht an der Zeit, alles
zu offenbaren.«
»Das hat mir gerade noch gefehlt. Ich fasse ...«
... es nicht, blieb Fleur in der Kehle stecken, denn aus einer
Nische erklang ein zartes Stimmchen.
»Ich glaube, ich habe etwas gefunden.«
Lucky!
Sie hatten den kleinen Kater nicht mehr beachtet, sondern sich
voll auf das Streitgespräch konzentriert. Lucky hatte sich jedenfalls
todesmutig in eine der hinteren Nischen geschlichen und einen verzierten
Eisenring, der aus der Wand ragte, entdeckt.
In Windeseile war der Streit vergessen und alle rannten zu Lucky
in die Nische.
»Sieht aus wie ein Geheimgang«, ließ Ben vernehmen, nachdem er
den Ring fachmännisch begutachtet hatte.
»Und wie sollen wir den Steinsockel herausziehen? Durch
telepathische Kräfte?«, wollte Twinky ironisch wissen.
»Ganz einfach.« Blackbird packte einen langen Oberschenkelknochen
und ließ ihn polternd vor Bens Pfoten fallen. »Wenn ihr das Ding durch den Ring
steckt, können wir ihn an beiden Seiten packen und gemeinsam ziehen. Vielleicht
gelingt es uns, den Geheimgang freizulegen. Oder das, was sich auch immer
dahinter befindet.«
Ben schaffte es tatsächlich den Knochen durch den Ring zu
schieben. Er ächzte und stöhnte zwar wie eine alte Dampflok, aber es gelang.
Dann packten sie auf beiden Seiten den Knochen mit den Zähnen und zogen
gemeinsam. Mobilisierten all ihre Kräfte. Die Steinplatte rührte sich nicht
einen Zentimeter. Sie versuchten es immer wieder und sanken letztendlich
erschöpft zu Boden. Waren kurz davor, aufzugeben, als ausgerechnet Rocky sie
zusammenstauchte. Er, den schon ein welkes Blatt, das in der Dunkelheit
raschelnd zu Boden fiel, in Angst und Schrecken versetzte, ermahnte
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