Das Reich der Katzen (German Edition)
vor.
Aber auch Fleur hatte optisch eindeutig eingebüßt. Ihr Fell war verschmutzt und
stand nach allen Seiten ab. Sie sah wie ein übergroßer Igel aus und das
beruhigte Onishas schwindendes Selbstwertgefühl.
Am nächsten Morgen fiel Onisha auf, dass auch Fleurs lockeres Mundwerk
ebenfalls einiges eingebüßt zu haben schien. Die sonst so Wortgewandte druckste
eine Weile herum, bis sie urplötzlich herausplatzte: »Ich glaube, ich weiß, wie
wir in das Reich der Katzen kommen. Ich hatte heute Nacht einen sehr
merkwürdigen Traum ...«
»Da sind wir schon zwei«, hielt ihr Onisha ruhig entgegen.
Fleur riss die Augen auf. »Was soll das schon wieder heißen?«
Onisha kicherte. Sie hatte sich über Nacht bestens erholt. Ihr
Atem ging wieder ruhiger und das lästige Seitenstechen war ebenfalls
verklungen. »Das soll heißen, dass wir wahrscheinlich denselben Traum hatten.«
Fleur ließ sich wenig elegant auf den Hintern plumpsen. »Das ist
ja ein starkes Stück. Und ich dachte, ich bilde mir das alles nur ein. Das mit
der sonderbaren Verbindung zwischen uns beiden.«
»Nein.« In Onishas grünen Augen tanzten goldene Punkte. In ihr
war plötzlich so viel Lebenslust, dass sie am liebsten wie eine junge Katze
herumgetollt wäre. Aber sie wollte die anderen, die noch schlummerten, nicht
wecken. Erstens hatten sie den Schlaf bitter nötig und zweitens hatten sie und
Fleur tatsächlich etwas zu besprechen. Etwas, was nicht unbedingt für alle
Ohren bestimmt war. Fleur trug wieder den entschlossenen Gesichtsausdruck zur
Schau, den Onisha so sehr an ihr schätzte und der sie oft belustigte. »Dann
erzähle du mir erst deinen Traum«, forderte sie Onisha auf. »Damit ich sehen
kann, ob wir wirklich ...« Sie brach ab und murmelte dann: »Das wäre ja irre!«
Onisha ließ sich nicht lange bitten. »Ich habe geträumt, dass du
Bastets Nachfolgerin bist und ...«
»Ha, da haben wir es schon. Wir und denselben Traum, dass ich
nicht lache ... Ich habe nämlich geträumt, dass DU die Nachfolgerin bist!«,
stieß Fleur triumphierend hervor.
Onisha runzelte die Stirn.
Sie liebte solche Unterbrechungen nicht sonderlich. Aber Fleur
waren Onishas Anstandsregeln völlig egal. Sie war noch nie in der Lage gewesen,
ihr Temperament zu zügeln. Onisha seufzte nachsichtig. »Wer die Nachfolgerin
ist, mag jetzt dahingestellt sein. Vielleicht ist es sogar Twinky. Wer weiß.«
»Ach, diiiiiiie.« Fleur konnte man deutlich vom Gesicht ablesen,
dass diese Möglichkeit für sie nicht in Frage kam.
»Wichtig ist doch nur, wie wir in das Reich der Katzen gelangen«,
fuhr Onisha unbeeindruckt fort. »Und ich hätte mir nie träumen lassen, dass es
so einfach ist!«
Nachdem Onisha und Fleur festgestellt hatten, dass sie doch
denselben Traum gehabt hatten, mit dem einzigen Unterschied, wer die Nachfolge
Bastets antrat, weckten sie die anderen und mahnten zum Aufbruch. Ben zeigte sich
zwar etwas unwillig, aber Valentin blickte Onisha nur einmal tief in die Augen.
Registrierte, dass sie wusste, wovon sie sprach.
»Weißt du jetzt, wie wir in das Reich der Katzen kommen?«, fragte
er und sie nickte.
»Fleur und ich wissen es.«
»Das genügt mir.« Valentin gab seinen Brüdern einen kurzen
Befehl, ihnen zu folgen.
Onisha und Fleur hatten das Kommando so selbstverständlich
übernommen, wie ein Alphawolf sein Rudel führt. In Bens Blick schimmerte
unverhohlener Respekt, wenn er Onisha betrachtete. Eine schmale Kluft war
zwischen ihnen erwachsen und Onisha spürte mit Bedauern, dass sie sich immer
mehr erweiterte. Aber so sehr sie dies auch bedauerte, sie wusste auch, dass es
besser so war. Neue ... andere Aufgaben warteten auf sie. Aufgaben, denen sie
ihre ungeteilte Aufmerksamkeit widmen musste. Die sie allein bewältigen musste.
Allein?
Onisha wusste diese Frage nicht zu beantworten. Jetzt war ohnehin
nicht die Zeit dazu. Sie mussten schleunigst den Wald verlassen. Auch wenn sich
Onisha hier sicher gefühlt hatte, hatte sie doch Angst, dass Sobeks Krieger sie
verfolgten.
Auch die Freunde spürten die Unruhe, die Onisha befallen hatte,
denn sie folgten ihr widerspruchslos. Selbst Twinkys bissige Bemerkungen waren
verstummt. Man hätte sie glatt für eine hübsche, kleine Schmusekatze halten
können. Wer aber in die Augen der Schildpattkatze blickte, sah darin nach wie
vor Auflehnung und eine Prise Hochmut. Sie würde nie eine anpassungsfähige Lady
werden. In ihr sprach das Blut der Urkatze. Der Wildkatze, die ihr Leben nur
nach ihren
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