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Das Reich der Schatten

Das Reich der Schatten

Titel: Das Reich der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aileen P. Roberts
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sogar froh war.

Kapitel 22
    Im Namen der Fürsten
    N ach dieser ausgesprochen unangenehmen Nacht erreichten sie am nächsten Tag das Flussdelta. Hier vereinten sich Himmelsfluss und Rigal. Tosend stürzten unfassbare Wassermassen über steiniges, größtenteils baumloses Land eine Klippe hinab. In der hervorbrechenden Sonne glitzerte die Gischt, bildete Hunderte Regenbogen, sodass Lena sich fragte, ob nicht auch der eine oder andere Wassergeist in diesem Farbenspektakel zu finden war. Staunend blickte sie sich um. Nordöstlich von ihnen erhob sich ein gewaltiger Berg, dessen Spitze von Nebel eingehüllt war, die Hänge von dichtem Wald bedeckt. Weiter südlich erkannte sie eine kleinere Erhebung, die ihr seltsam bekannt vorkam.
    »Ragnar«, rief sie, woraufhin er sein Pferd zu ihr lenkte. Nach wie vor war er schweigsam, schien nicht wirklich zu sehen, worauf seine Augen sich richteten.
    »Ragnar!«, rief Lena nochmals eindringlicher, und endlich tauchte er aus seinen düsteren Gedanken auf, wenigstens hoffte sie das. »Was sind das für Berge?«
    Ragnar deutete nach Nordosten. »Dort hinten liegt der Cerelon.«
    Ein Schauer lief über Lenas Rücken. Dies war also der Ort, an dem die Tuavinn sich an ihren Anam Cara banden. Schon aus der Ferne übte der Berg eine unheimliche Anziehungskraft auf sie aus. Mächtig thronte er über dem Land. Der Nebel verbarg seinen Gipfel, und die dunklen, dichten Wälder waren von weißen Felsen unterbrochen, die – jetzt, da Lena genauer hinsah – spiralförmige Muster bildeten.
    »Diese Felsen«, fragte sie ehrfürchtig, »die können doch nicht natürlich gewachsen sein?«
    »Ich weiß nicht«, antwortete Ragnar. »Vielleicht sind sie natürlichen Ursprungs, oder sie wurden von Geisterhand erschaffen.«
    »Von Geisterhand erschaffen«, wiederholte sie. In Elvancor hatte diese Redewendung eine ganz andere Bedeutung.
    »Maredd behauptet, der Cerelon sei ein Zeichen des Kreislaufs des Lebens«, erklärte Ragnar. »Er symbolisiert Leben und Tod und kündet von ewiger Wiederkehr. Er ist eines der Zentren der Macht von Elvancor.«
    Mächtig, ja, mächtig wirkte er in jedem Fall, und ein Teil von ihr wünschte sich, diesen Berg zu besteigen, ein anderer fürchtete sich vor dieser bis hierher spürbaren Kraft, die der Cerelon verströmte. Lena kam es so vor, als würde sein unsichtbarer Schatten nach ihr greifen.
    Als Ragnar fortfuhr, verflüchtigte sich ihr Wunsch, die Gipfel des Cerelon zu erklimmen, jedoch schnell. »Ich muss gestehen, es ist ein zugleich faszinierender als auch beängstigender Gedanke, eines Tages mit Aravyn dort hinaufzugehen.«
    Lena schluckte heftig, dann nickte sie eilig in Richtung der kleineren Erhebung. »Und dort unten, irgendwie kommt mir dieser Berg bekannt vor, aber das kann doch nicht sein.«
    »Das ist Erborg. Ich weiß, was du meinst, er erinnert mich auch an diesen Berg, den wir damals gemeinsam besucht haben. Du weißt schon, die Kapelle mit dem dicken Pfarrer.«
    Bei dem Gedanken daran musste Lena lachen. »Das Walberla, stimmt!« Sie kniff die Augen zusammen. »Also auf die Ferne sieht er wirklich zum Verwechseln ähnlich aus.«
    »Maredd hat erzählt, Fürst Orteagon und Fürstin Elgetia hätten den Berg in mühevoller Arbeit zu dem gemacht, was er heute ist. Sie haben Wald gerodet, Gestein und Erde abtragen lassen und damit viele Naturgeister erzürnt.«
    »Sie wollten sich ein Abbild ihrer alten Heimat schaffen«, flüsterte Lena und sah zu der Fürstin, deren Haar auch nach der langen Reise noch immer kunstvoll frisiert war. Demnach ritt sie hier an der Seite einer Frau, die Tausende Jahre vor ihr auf dem Walberla gelebt hatte – unfassbar.
    »Eine gewaltige Mauer umgibt die Stadt, die Hänge sind ähnlich schroff wie jene des Berges, den du kennst.«
    »Erborg – Ehrenbürg«, rief Lena erstaunt. Ehrenbürg war der offizielle Name des Walberla. »Wahrscheinlich kommt daher der Name Erborg!«
    »Da könntest du recht haben«, stimmte Ragnar zu, wendete sein Pferd und gesellte sich wieder zu Aravyn.
    Lena vermied es, zu den beiden zu sehen, stattdessen zog sie Kians Gesellschaft vor.
    Gegen Nachmittag erreichten sie eine steinerne Brücke. In einem mächtigen Bogen, mit kunstvoll eingemeißelten Knotenmustern verziert, verband sie die Ufer des breiten Flusses miteinander. Jeweils zehn bewaffnete Krieger hielten zu beiden Seiten Wache. Die Männer am diesseitigen Ufer konnte Lena genau betrachten. Regungslos standen sie da, so als würden sie die

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