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Das Reich der Schatten

Das Reich der Schatten

Titel: Das Reich der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aileen P. Roberts
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ihrer Welt gegenübergestanden hatte, hatte sie mehr und größere Angst verspürt als jemals zuvor in ihrem Leben. Nur war damals alles überraschend gekommen, von einer Sekunde auf die andere, hatte ihr keine Zeit zum Überlegen gelassen. Aber das, was sie nun erlebte, war der blanke Horror, der sich mit jedem ihrer Atemzüge steigerte, in jede Faser ihres Körpers und ihrer Seele drang. Gefesselt und geknebelt hing sie hier auf diesem Marktplatz, während sich Dunkelheit über Elvancor senkte. Wie immer blieb dieses ferne Glimmen, das Maredd als das Licht der Ewigkeit bezeichnete. Würde sie bald dort einziehen – in die Ewigkeit? Oder wäre ihre Seele verloren, wenn sie durch die Hand eines Rodhakan starb, so wie manche Tuavinn glaubten? Wie war es, einfach zu vergehen, sich in nichts aufzulösen? Und was war mit Ragnar? Die Sorge um ihn drohte ihr den Verstand zu rauben. Schon lange hatte sie keine Tränen mehr, daher schluchzte sie nur trocken auf. Sollte alles so enden? Zumindest ihre Familie und ihre Freunde hätte sie gerne noch einmal gesehen, sich von ihnen verabschiedet. Auf einmal vermisste sie alle so entsetzlich. Selbst ihre Eltern und ihre Schwester, von denen sie sich früher immer unverstanden gefühlt hatte, und ganz besonders Oma Gisela hätte sie jetzt so gern an ihrer Seite gewusst.
    Dieses Warten war grauenvoll, sie bebte am ganzen Körper, und das kam nicht nur von der Kälte, die ihr langsam, aber sicher in alle Glieder kroch. Maredd, Etron, wo seid ihr? , flehte sie stumm. Konnten die Tuavinn nicht mithilfe eines der Naturgeister hierherkommen und sie und Ragnar retten? Doch vermutlich war das reines Wunschdenken, denn nicht immer gelang es den Tuavinn, die Geister zu beschwören.
    Nach und nach verloschen die Lichter in den umliegenden Häusern. Noch einmal kam jemand zu Ruven, der stumm neben ihr Wache hielt, und Lena glaubte, die Stimme von Fürst Orteagon zu vernehmen, wie er leise mit ihrem Wächter sprach, bevor er wieder fortging.
    Die Nacht schritt weiter voran, Lena hatte das Gefühl, sie würde ewig andauern, und mit jedem Atemzug, der verstrich, wuchs in ihr die Gewissheit, dass dies die letzten Stunden ihres Lebens waren.
    Schlagartig bebte die Erde, das Holz, an dem Lena festgebunden war, knarrte und schwankte. Kurz darauf überzog ein rötliches Glimmen den Himmel im Norden. Menschen kamen aus den Häusern gelaufen. Ruven fluchte leise, dann war er auf einmal verschwunden. Aufgeregte Rufe wurden überall laut.
    »Der Vulkan, er ist ausgebrochen!«
    »Das ist ein Zeichen der Götter!«
    »Haben sie den Tuavinn als Opfer angenommen?«
    »So ein gewaltiges Zeichen hat es noch nie gegeben, noch nie haben wir den Vulkan bis hierher im Süden gespürt. Wie kann das sein?«
    So ging es in einem fort, und Lena liefen heiße und kalte Schauer über den gesamten Körper.
    »Bleib ruhig, wenn du leben willst!«
    Lena schreckte zusammen. Die Stimme war direkt hinter ihr. Sie spürte, wie ihre Fesseln durchtrennt wurden, jemand drückte sie auf den Boden. »Rühr dich nicht!«
    Ruven? , schoss es Lena durch den Kopf. Es war eindeutig seine Stimme. Zu ihrer Verwunderung erkannte sie, wie er eine leblose Gestalt zwischen die Seile band. Dann warf er einen Umhang über Lena und fasste sie fest am Oberarm. »Folge mir.«
    »Hm!« Sie deutete auf ihren Knebel, aber er zog sie nur mit sich.
    »Später.«
    Zunächst bahnten sie sich ihren Weg durch die Menge. Alle starrten oder deuteten in den rötlich erleuchteten Nachthimmel, deshalb achtete niemand auf sie. Zu gern hätte Lena gefragt, was vor sich ging. Wollte Ruven sie gleich opfern, nachdem die Götter ja angeblich bereits ein Zeichen gesandt hatten? Andererseits hatte er gesagt: »Bleib ruhig, wenn du leben willst.« Die wildesten Gedanken wirbelten ihr durch den Kopf, aber gleichzeitig musste sie auf den Weg achten, denn bald hatten sie die Straße verlassen, eilten über in der Finsternis liegende Felder. Wolken bedeckten den Himmel, Monde sowie Sterne waren verschwunden, lediglich der pulsierende Schein des Vulkans im Norden spendete spärliches Licht. Überrascht sah Lena in die Höhe, als sie etwas Kaltes auf ihrem Gesicht spürte. Es hatte zu schneien begonnen.
    Endlich hielt Ruven an, löste ihren Knebel, zog sie jedoch weiter. Lena bewegte ihre Lippen, froh, endlich diesen Lumpen los zu sein.
    »Kannst du mir jetzt erklären, was das alles zu bedeuten hat?«
    Abrupt blieb Ruven stehen, packte sie hart an den Schultern und sagte

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