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Das Reich der Schatten

Das Reich der Schatten

Titel: Das Reich der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aileen P. Roberts
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Sonne kam hervor, das ganze Land war plötzlich von Regenbogen überzogen. Sie spannten sich über den Bergen, formten ein regelrechtes Brückenwerk aus schillernden Farben, sodass Lena die Augen zusammenkneifen musste.
    »Was … ist das?«
    Kian murmelte etwas vor sich hin, dann legte er einen Arm um ihre Schultern. »An manchen Tagen kämpfen die Geister des Himmels miteinander. Die Windgeister wollten die Regengeister vertreiben. Daher haben sie sich formiert und ihre Widersacher fortgeblasen.«
    »Geister, die sich formieren«, staunte Lena, dann erinnerte sie sich an etwas. »Also war das so ähnlich wie bei den Maryden.« Voller Unbehagen sah sie zum Himmel hinauf. »Sind die Himmelsgeister genauso gefährlich wie die des Wassers?«
    Bedächtig wiegte Kian seinen Kopf hin und her. »Maryden sind meist aggressiver. Aber auch Wind- und Regengeister zürnen den Menschen gelegentlich, fordern sie mit Orkanen oder Schneestürmen in den Bergen heraus.«
    In ihrer Welt hätte Lena über eine solche Sicht der Dinge gelacht und Kian für verrückt erklärt. Aber wenn sie jetzt in den Himmel blickte, überwiegend strahlend blau, nur noch im Osten die nachtschwarzen Reste der Sturmwolken, und das Farbenspektakel über den Ebenen, dann konnte sie nicht anders, als Kians Denkweise für wahr zu halten. »Und die Regenbogen – stecken da etwa auch Geister dahinter?«
    Kians Augen folgten ihrem ausgestreckten Finger. »Regenbogen – das ist ein hübscher Name! Wir nennen sie Lichtbrücken, denn sie verbinden Land, Himmel und Wasser miteinander. Und ja, die Geister des Lichts sind dafür verantwortlich. Vor ihnen muss man sich jedoch nicht fürchten, sie gelten als friedlich, bringen ihre Freude über das Verschwinden der Dunkelheit nach einem regnerischen Tag durch ihre Lichtbrücken zum Ausdruck. Tausende kleine Lichtwesen tanzen auf ihnen.«
    Jetzt, da Lena genauer hinsah, glaubte sie, die einzelnen Farben der Regenbogen ineinander verschwimmen zu sehen. Fasziniert betrachtete sie dieses Naturschauspiel. Anders als sie es von zu Hause kannte, verschwanden die Regenbogen nicht nach kurzer Zeit, sondern blieben den gesamten Nachmittag über den Ebenen hängen.
    Sie konnte gar nicht genug bekommen von diesem Land, daher schlug sie die Plane so weit wie möglich zur Seite, als sie wieder auf den Wagen kletterte. Auch heute kreuzten zahlreiche Tiere ihren Weg, farbenprächtige Vögel, schillernde Insekten, und als sie später eine gewaltige Kreatur ausmachte, die auf die entfernten Berge zuhielt, traute sie ihren Augen kaum. »Ein Drache!«, rief sie aus.
    »Meist halten sie sich eher im Süden auf.« Kian schirmte seine Augen mit der Hand gegen die Sonne ab. »Vielleicht ein Weibchen auf der Suche nach einer Brutstätte.«
    »Wahnsinn!« Niemals zuvor hätte sie sich auszumalen vermocht, wie majestätisch diese Himmelskreaturen sein konnten. Hoch über ihnen flog der metallisch grün schimmernde Drache, bewegte seine Schwingen mit mächtigen Schlägen, die seinen Körper rasch vorwärtskatapultierten.
    Völlig gefangen von diesem Anblick reagierte Lena erst gar nicht, als Kian verkündete: »Morgen werden wir Ceadd erreichen.« Stattdessen gab sie nur abwesend ein »Hm« von sich, besann sich dann allerdings und drehte sich in Fahrtrichtung. Im schwindenden Licht des Tages konnte sie eine Erhebung über dem Grasland erkennen. Umgeben von einem dichten Waldgebiet thronte ein Hügel, auf dessen höchstem Punkt Lena eine Mauer zu erkennen glaubte.
    »Das ist Ceadd?«
    »Richtig.«
    »Und wir müssen durch den Wald? Ist das nicht gefährlich?« Bei dem Gedanken daran, diesen düsteren, dichten Wald zu betreten, erschauderte Lena. Anders als die Wälder der Berge von Avarinn wirkte dieser hier bedrohlich auf sie, auch wenn sie sich das nicht erklären konnte.
    »Nein, die Tuavinn meiden ihn.«
    »Ich dachte auch weniger an die Tuavinn«, murmelte Lena.
    »Selbst die Rodhakan halten sich fern. Wir wissen nicht, weshalb, aber noch niemals haben sie den Eibenwald vor Ceadd durchquert.«
    Nach und nach verschwanden die ersten Reiter und Wagen zwischen den Bäumen. Lena überkam ein eigenartiges Gefühl, als sie zwischen den knorrigen, verwachsenen Waldpflanzen eintauchten. Viele der Bäume besaßen mächtige Stämme, waren sehr hoch, bestimmt an die zwanzig Meter, andere eher niedrig, und ihre Äste hingen bis auf die Erde. Dicke Wurzeln überzogen den Boden, die meisten von ihnen hätte sie nicht mit ihren Armen umfassen können.

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