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Das Reich der Sieben Städte

Das Reich der Sieben Städte

Titel: Das Reich der Sieben Städte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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ritt in gleichmäßigem Trab weiter, dachte über die Herausforderung nach, die diese Nacht bereithalten würde: der Ritt durch die feindlichen Linien, die unangekündigte Annäherung an die höchst nervösen Außenposten der Siebten. Je mehr er darüber nachdachte, desto geringer erschienen ihm seine Chancen, diese Nacht zu überleben und morgen früh die Sonne aufgehen zu sehen.
    Der rote Himmel wurde so unvermittelt dunkler, wie es typisch für die Wüste war, übergoss alles mit der Farbe von geronnenem Blut. Wenige Augenblicke, bevor die letzten Lichtstrahlen verblassten, schaute Duiker sich zufällig um. Er sah eine feinkörnige Wolke, die sich sichtlich ausdehnte, während sie gen Süden flog. Sie schien die letzten Lichtstrahlen hunderttausendfach zu reflektieren, als würde der Wind die Bäume am Rande eines gewaltigen Waldes bewegen und die Birken die helle Unterseite ihrer Blätter zeigen. Kapmotten. Es mussten Millionen sein. Sie hatten Hissar hinter sich gelassen, folgten dem Blutgeruch.
    Er redete sich ein, dass es ein geistloser Hunger war, der sie antrieb. Er sagte sich, dass die Kleckse und Flecken in der sich blähenden, den Himmel füllenden Wolke nur durch Zufall eine Art Gesicht formten. Schließlich bestand für den Vermummten keine Notwendigkeit, sich hier zu manifestieren. Und der Vermummte war auch nicht als besonders melodramatischer Gott bekannt – wenn überhaupt, galt der Lord des Todes ironischerweise als bescheiden. Was Duiker zu erkennen glaubte, war das Ergebnis seiner Furcht, des nur allzu menschlichen Bedürfnisses, in sinnlosen Ereignissen eine symbolische Bedeutung zu sehen. Und nichts weiter.
    Duiker gab seinem Pferd die Fersen und trieb es zum Galopp, die Augen fest auf die sich vertiefende Dunkelheit vor ihm gerichtet.
     
    Von der Kuppe des niedrigen Hügels aus betrachtete Felisin den kochenden Boden der Senke. Es war, als wäre der Wahnsinn aus den Städten, aus den Gehirnen von Männern und Frauen herausgeströmt, um die Welt zu beflecken. Kurz vor Einbruch der Abenddämmerung, als sie und ihre beiden Gefährten sich angeschickt hatten, das Lager abzubrechen und sich für den Nachtmarsch bereitzumachen, hatte der Sand in der Senke begonnen, sich zu kräuseln, so wie Regentropfen die Oberfläche eines Sees kräuseln. Käfer waren aufgetaucht, schwarz und so groß wie Baudins Daumen, und in einer glitzernden Woge durcheinander gekrabbelt, die schon bald den gesamten Wüstenstreifen vor ihnen füllte. Zu Tausenden, zu Hunderttausenden, und doch bewegten sie sich wie ein einziger Körper, mit einem einzigen Ziel. Heboric, der auch hier den Gelehrten nicht verleugnen konnte, war losgegangen, um herauszufinden, wohin die Käfer unterwegs waren. Sie hatte ihn beobachtet, wie er am jenseitigen Rand der Insektenarmee entlanggegangen und dann hinter dem nächsten Hügelkamm verschwunden war.
    Zwanzig Minuten waren seither vergangen.
    Neben ihr kauerte Baudin. Seine Unterarme ruhten auf dem großen Rucksack, während er blinzelte, um das immer düsterer werdende Zwielicht mit seinen Blicken zu durchdringen. Sie spürte sein wachsendes Unbehagen, hatte sich jedoch entschlossen, nicht diejenige zu sein, die ihre gemeinsamen Befürchtungen laut aussprach. Es gab Zeiten, da wunderte sie sich schon über Heborics Ansichten darüber, was wichtig war und was nicht. Und sie fragte sich, ob der alte Mann nicht vielleicht tatsächlich eine Last für sie und Baudin war.
    Die Schwellungen waren zurückgegangen, zumindest so weit, dass sie hören und sehen konnte; doch der Schmerz tiefer in ihrem Innern blieb, als ob die Blutfliegen-Larven etwas unter ihrer Haut zurückgelassen hätten – eine Fäulnis, die nicht nur ihr Äußeres verunstaltet, sondern auch ihre Seele befleckt hatte. In ihr war ein Gift. Wenn sie schlief, hatte sie unaufhörlich Visionen von Blut, von einem scharlachroten Fluss, der sie wie Treibgut vom Sonnenaufgang zum Sonnenuntergang trug. Sechs Tage waren vergangen, seit sie aus Schädelmulde geflohen waren, und ein Teil von ihr freute sich darauf, das nächste Mal zu schlafen.
    Baudin gab ein Knurren von sich.
    Heboric war wieder aufgetaucht. Er rannte in gleichmäßigem Tempo am Rande der Senke entlang auf sie zu. Er wirkte breit und bucklig und erinnerte sie einmal mehr an einen Oger, der einer Gutenacht-Geschichte für Kinder entsprungen war. Wo seine Hände sein sollten, waren nur Stümpfe, die er gleich erheben würde, um zahnstarrende Mäuler zu enthüllen.

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