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Das Reich der Sieben Städte

Das Reich der Sieben Städte

Titel: Das Reich der Sieben Städte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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Krümmung befand sich sieben, vielleicht auch acht Mannshöhen über ihnen, ungefähr bei drei Fünfteln der Gesamthöhe. Der Stein sah gleichermaßen zerknittert und poliert aus und wirkte im farblosen Mondlicht dunkelgrau.
    Als Heboric schließlich direkt vor dem Monolithen stand, erwies sich der Stein im Licht der Laterne als grün. Felisin schaute zu, wie er den Kopf in den Nacken legte, um nach oben zu blicken. Dann trat er vor und presste einen Armstumpf gegen die Oberfläche. Einen Augenblick später trat er wieder einen Schritt zurück.
    Neben ihr gluckerte es, als Baudin aus einem Wasserschlauch trank. Sie streckte die Hand aus, und nach kurzem Zögern gab er ihn ihr. Der Sand flüsterte, als Heboric zurückkehrte. Der ehemalige Priester hockte sich hin.
    Felisin bot ihm das Wasser an. Er schüttelte den Kopf. Sein Krötengesicht zeigte ein verwirrtes Stirnrunzeln.
    »Ist das die größte Säule, die du jemals gesehen hast, Heboric?«, fragte Felisin. »In Aren soll's eine geben ... das habe ich zumindest gehört... die zwanzig Mannshöhen hoch sein soll und die von der Spitze bis zum Fuß wie eine Spirale geformt ist. Beneth hat sie mir mal beschrieben.«
    »Hab sie gesehen«, knurrte Baudin. »Die ist vielleicht höher, aber nicht so dick. Woraus ist die hier, Priester?«
    »Aus Jade.«
    Baudin stieß ein phlegmatisches Brummen aus, doch Felisin sah, wie sich seine Augen für einen kurzen Moment weiteten. »Nun ja, ich hab schon Größere gesehen. Hab auch schon Dickere gesehen ...«
    »Sei still, Baudin«, schnappte Heboric und schlang die Arme um seinen Oberkörper. Er starrte den Schläger unter seinen buschigen Brauen hervor an. »Das da drüben ist keine Säule«, sagte er mit krächzender Stimme. »Es ist ein Finger.«
     
    Verstohlen kroch das erste Licht der Dämmerung über den Himmel, warf zaghafte Schatten in die Landschaft um sie herum. Langsam wurden die Einzelheiten des Jadefingers dem Zwielicht entrissen. Feine eingravierte Linien, sanfte Wölbungen und angedeutete Falten, die die Struktur der Haut darstellen sollten, wurden sichtbar. Genau wie eine kleine, längliche Erhebung im Sand direkt unter dem Monolithen – ein weiterer Finger.
    Finger, die zu einer Hand gehören. Einer Hand, die zu einem Arm gehört. Einem Arm, der zu einem Körper gehört... So logisch diese Reihenfolge auch sein mochte – es war absolut unmöglich, dachte Felisin. So ein Ding konnte einfach nicht hergestellt werden; so ein Ding konnte unmöglich aufrecht dastehen oder in einem Stück bleiben. Vielleicht eine Hand, ja – aber kein Arm, kein Körper.
    Heboric sagte nichts. Er saß einfach nur reglos da, die Arme noch immer um den Oberkörper geschlungen, während die Dunkelheit der Nacht verschwand. Das Handgelenk, mit dem er das Bauwerk berührt hatte, hielt er an die Brust gepresst, als ob die Erinnerung an die Berührung Schmerzen auslöste. Felisin, die ihn im heller werdenden Morgenlicht anstarrte, war einmal mehr von seinen Tätowierungen fasziniert. Sie schienen irgendwie intensiver geworden zu sein, schienen schärfer hervorzutreten.
    Baudin stand schließlich auf und fing an, dicht an der Basis des Fingers – dort, wo am längsten Schatten herrschen würde – die beiden kleinen Zelte aufzuschlagen. Er ignorierte den sich auftürmenden Monolithen, als wäre er nichts anderes als die Krone eines Baums, und machte sich daran, die langen, dünnen Heringe durch die mit Bronze eingefassten Ecken des ersten Zelts in den Sand zu treiben.
    Die Sonne stieg allmählich höher, und der Himmel verfärbte sich zu einem satten Orange. Zwar hatte Felisin einen solchen Himmel auch schon zuvor auf der Insel gesehen, doch noch niemals hatte er so gesättigt gewirkt. Sie konnte ihn beinahe schmecken, bitter wie Eisen.
    Als Baudin sich dem zweiten Zelt zuwandte, erhob sich Heboric schließlich; er reckte den Kopf in die Höhe, sog prüfend die Luft ein und blinzelte dann nach oben. »Beim Atem des Vermummten!«, knurrte er. »Reicht das denn alles noch nicht?«
    »Was ist?«, wollte Felisin wissen. »Ist irgendwas nicht in Ordnung?«
    »Es hat einen Sturm gegeben«, sagte der Ex-Priester. »Das da ist Otataral-Staub.«
    Baudin hielt mit seiner Arbeit an den Zelten inne. Er strich sich mit einer Hand über die Schulter, dann starrte er mit gerunzelter Stirn seine Handfläche an. »Er sinkt herab«, sagte er.
    »Wir sollten besser irgendwo Schutz suchen ...«
    Felisin schnaubte. »Als ob das irgendwas nützen würde. Wir

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