Das Reich der Sieben Städte
essen.«
Baudin starrte sie einen Augenblick an, sagte jedoch nichts, sondern wandte sich wieder Heboric zu, um ihn weiter zu untersuchen.
»Sag mir, was du da eigentlich tust«, sagte sie schließlich.
»Er lebt, und das allein kann uns vielleicht retten.« Er machte eine kurze Pause. »Wie tief du fällst, bedeutet mir nichts, Mädchen. Aber tu mir einen Gefallen, und behalte deine Gedanken für dich.«
Sie sah zu, wie er Heboric die verrotteten Kleider auszog und dabei das erstaunliche Geflecht von Tätowierungen darunter enthüllte. Dann setzte er sich auf die andere Seite, damit sein Schatten hinter ihm blieb, ehe er sich vorbeugte und das dunkle Muster auf der Brust des Priesters studierte. Anscheinend suchte er nach etwas Bestimmtem.
»Ein erhobener Nacken«, sagte sie dumpf, »die Enden sind heruntergezogen und berühren sich fast, bilden beinahe einen Kreis. Das Ganze umgibt ein Paar Hauer.«
Er starrte sie aus zusammengekniffenen Augen an.
»Das ist Feners Zeichen, das, das heilig ist«, sagte sie. »Danach suchst du doch, oder nicht? Er ist zwar exkommuniziert, aber Fener ist noch immer in ihm. Das zumindest wird durch diese lebenden Tätowierungen deutlich.«
»Und was ist mit dem Zeichen?«, fragte er kühl. »Wie kommt es, dass du über solche Dinge Bescheid weißt?«
»Ich habe Beneth eine Lügengeschichte erzählt«, erklärte sie, während Baudin sich wieder den Tätowierungen des Priesters zuwandte. »Ich habe Heboric gebraucht, um mir dabei zu helfen. Ich habe Einzelheiten aus dem Kult gebraucht. Er hat mir einiges erzählt. Du hast vor, den Gott anzurufen.«
»Ich hab's gefunden«, sagte er.
»Und was jetzt? Wie erreichst du den Gott eines anderen Mannes, Baudin? Dies Zeichen ist kein Schlüsselloch, kein heiliges Schloss, das du knacken kannst.«
Bei diesen Worten zuckte er zusammen; seine Augen glitzerten, als sein Blick sich in die ihren bohrte.
Sie blinzelte nicht, verriet nichts.
»Was glaubst du, wie er seine Hände verloren hat?«, fragte Felisin unschuldig.
»Er war früher ein Dieb.«
»Stimmt. Aber die Hände hat er durch die Exkommunizierung verloren. Du musst wissen, es hat tatsächlich einen Schlüssel gegeben. Als Hohepriester konnte er ein Gewirr benutzen, das ihm Zugang zu seinem Gott gewährt hat. Es war in die Handfläche seiner rechten Hand tätowiert. Es musste gegen das heilige Zeichen gehalten werden – das heißt ganz einfach, Hand an die Brust, so einfach wie ein Gruß. Es hat Tage gedauert, bis ich mich wieder erholt habe, nachdem Beneth mich verprügelt hatte. Und Heboric hat geredet. Hat mir viele Dinge erzählt. Eigentlich hätte ich sie alle wieder vergessen müssen, musst du wissen. Schließlich habe ich Unmengen Durhang-Tee getrunken. Aber das Gebräu hat nur die Oberfläche zerstört, den Filter, der einem sagt, was Bedeutung hat und was nicht. Seine Worte sind ungehindert hindurchgetröpfelt und geblieben. Du kannst es nicht tun, Baudin.«
Der Schläger hob Heborics rechten Unterarm, musterte den glänzenden, geröteten Stumpf im heller werdenden Licht.
»Er kann niemals zurückkehren«, sagte Felisin. »Dafür hat die Priesterschaft gesorgt. Er ist nicht mehr das, was er einst gewesen ist – und das war's.«
Mit einem leisen Schnauben drehte Baudin Heborics Unterarm um und presste den Stumpf gegen das heilige Zeichen.
Die Luft schrie gellend auf. Das Geräusch schlug auf sie ein, schleuderte sie zu Boden, ließ sie beide scharren, kratzen, versuchen, sich wie irrsinnig in den nackten Fels zu graben – nur weg ... weg von dem Schmerz! Weg! In dem Kreischen lag eine solche Agonie, dass sie wie Feuer herabgestiegen kam, den Himmel über ihnen verdunkelte, feine Risse und Spalten im Felsgestein verursachte, wobei diese Risse von einer Stelle unter Heborics reglosem Körper ausgingen und sich wie blutige Rinnsale ausbreiteten.
Blut strömte Felisin aus den Ohren. Sie versuchte wegzukriechen, den vibrierenden Hang hinaufzukriechen. Die Spalten – Heborics Tätowierungen waren über seinen Körper hinausgewachsen, hatten die unergründliche Distanz zwischen Haut und Stein überwunden – zuckten unter ihr hin und her, verwandelten den Felsen unter ihren Händen in etwas Glattes, Schmieriges.
Alles hatte zu beben begonnen. Selbst der Himmel schien sich zu winden, schien hierhin und dorthin gerissen zu werden, als hätte ein Dutzend unsichtbarer Hände durch unsichtbare Öffnungen gegriffen und mit kalter, zerstörerischer Wut das Gewebe der Welt
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