Das Reich der Sieben Städte
schließlich auf. Sein Blick heftete sich auf Felisin. »Kindermund tut Wahrheit kund«, sagte er mit einem Grinsen, das bar jeden Humors war.
»Dann ist er also hier«, sagte Baudin und schaute sich um. »Wie kann sich ein Gott verstecken?«
Heboric stand auf. »Ich würde den Rest eines Armes dafür geben, wenn ich jetzt die Drachenkarten studieren könnte. Stellt euch das Durcheinander unter den Aufgestiegenen vor. Das hier ist kein Mückenschiss, kein Zupfen, kein Klimpern auf den Strängen der Macht.« Er hob die Arme, starrte seine Stümpfe an. »Es ist Jahre her, aber jetzt sind die Geister zurückgekehrt.«
Die Verwirrung zu sehen, die sich auf Baudins Gesicht abzeichnete, war schon eine Anstrengung an sich. »Was für Geister?«
»Die Hände, die nicht mehr da sind«, erklärte Heboric. »Echos. Genug, um einen Mann in den Wahnsinn zu treiben.« Er schüttelte sich, blinzelte zur Sonne empor. »Ich fühle mich besser.«
»Du siehst auch so aus«, sagte Baudin.
Es wurde allmählich heißer. In einer Stunde würde es unerträglich sein.
Felisin machte ein finsteres Gesicht. »Von dem Gott geheilt, den er zurückgewiesen hat. Aber es spielt keine Rolle. Wenn wir den ganzen Tag in unseren Zelten bleiben, werden wir heute Abend zu schwach sein, um noch irgendwohin zu gehen. Wir müssen jetzt gehen. Zum nächsten Wasserloch. Wenn wir es nicht tun, sind wir bald tot.« Aber ich werde dich überleben, Baudin. Ich werde lange genug leben, um dir den Dolch in die Brust zu rammen.
Baudin schulterte seinen Rucksack. Grinsend schob Heboric die Arme unter die Tragriemen des Rucksacks, den sie getragen hatte. Er stand mit Leichtigkeit auf, wenn er auch einen Schritt zur Seite machen musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, als er aufrecht stand.
Baudin ging voran. Felisin trottete hinter ihm her. Ein Gott wandelt im Reich der Sterblichen, aber er fürchtet sich. Er besitzt unvorstellbare Macht, aber er versteckt sich. Und irgendwie hatte Heboric die Stärke gefunden, all das zu ertragen, was geschehen war. Und die Tatsache, dass er dafür verantwortlich ist. Das hätte ihn eigentlich zerbrechen, seine Seele in Stücke zerfallen lassen müssen. Stattdessen unterwirft er sich. Kann seine Mauer aus Zynismus einer solchen Belagerung lange widerstehen? Was hat er eigentlich wirklich getan, um seine Hände zu verlieren?
Sie musste ihren inneren Aufruhr unter Kontrolle bekommen. Ihre Gedanken plünderten jedes Zimmer in ihrem Kopf. Sie dachte noch immer an Mord, doch gleichzeitig spürte sie eine vage spöttische Welle von kameradschaftlicher Zuneigung für ihre beiden Gefährten. Sie wollte weglaufen, vor ihnen davonlaufen, weil sie spürte, dass ihre Gegenwart ein Mahlstrom war, der sie in den Wahnsinn und den Tod zog, doch sie wusste, dass sie andererseits auch von ihnen abhängig war.
Hinter ihr erklang Heborics Stimme. »Wir werden es bis zur Küste schaffen. Ich rieche Wasser. Ganz nah. Erst zur Küste, und wenn wir dann dort sind, wirst du feststellen, dass sich nichts geändert hat, Felisin. Überhaupt nichts. Verstehst du, was ich meine?«
Sie spürte, dass seine Worte unzählige Bedeutungen hatten, doch sie verstand nicht eine einzige davon.
Ein Stück voraus stieß Baudin einen überraschten Schrei aus.
Mappo Trells Gedanken reisten beinahe achthundert Längen nach Westen, zu einer Abenddämmerung, die der jetzt herrschenden nicht unähnlich war, jedoch zweihundert Jahre in der Vergangenheit lag. Er sah sich selbst, wie er eine mit brusthohem Gras bestandene Ebene überquerte, doch das Gras war niedergedrückt, war mit etwas beschmiert, das wie Wollfett aussah, und während er dahinschritt, veränderte und bewegte sich die Erde unter seinen Fellschuhen. Er hatte bereits Jahrhunderte erlebt, in einen Krieg verstrickt, der zu einem sich ständig aufs Neue wiederholenden Kreislauf aus Überfällen, Kämpfen und blutigen Opfern vor dem Gott der Ehre geworden war. Spiele der Jugend, und er war ihrer schon lange müde. Doch er blieb, an einen einzigen Baum festgenagelt, aber nur, weil er sich an die Szenerie darum herum gewöhnt hatte. Es war erstaunlich, was man aushalten konnte, wenn man sich im Griff der Trägheit befand. Er hatte einen Punkt erreicht, an dem alles, was fremd, was unvertraut war, einen Grund zur Furcht darstellte. Doch im Gegensatz zu seinen Brüdern und Schwestern konnte Mappo sich nicht sein ganzes Leben lang von dieser Furcht tragen lassen. Dennoch hatte es jenes Entsetzens
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